Diner des Grauens
Armeslänge von sich ab und sie drehte sich einmal. Dann fiel sie zurück in seine Arme.
»Earl, wie alt bist du?«
»Kommenden Mai siebenundneunzig.«
»Sieht man dir gar nicht an.«
»Naja, ich versuche, nicht in die Sonne zu gehen. Das schützt vor Falten.«
Sie lachte. Das Lachen flatterte über den Friedhof und hin ü ber in die Welt der Lebenden. Ein Sterblicher, der vorbeikam, hätte angehalten und sich gefragt, woher es kam. Er hätte einen Mann gesehen, der mit einer nicht vorhandenen Partnerin tanzte, und beschlossen, sich besser um seine eigenen Angel e genheiten zu kümmern.
Earl und Cathy hörten auf zu tanzen und sahen sich in die Augen. Strähnen ihres geisterhaften Haares wehten in der leichten Brise über ihr Gesicht. Er strich sie weg und liebkoste ihre Wange. Ihre blauen Lippen öffneten sich beinahe unmer k lich. Sie kamen sich näher.
Earls Herz schlug in seiner Brust. Einmal. Zum ersten Mal in neunundsechzig untoten Jahren.
Und dann stieg hinter ihm ein Schatten auf und jagte einen Holzpflock durch sein Herz. Seine Augen wurden glasig und er fiel zu Boden.
»Earl!«
Der Schatten kroch vorwärts. Cathy konnte in der Du n kelheit besser sehen als die Lebenden bei Tageslicht. Aber diese Kre a tur konnte sie nicht richtig erkennen, sie glich einem Aal aus schwarzem Rauch, der durch die Nacht glitschte. Der Schatten kroch vorwärts. Im einen Moment schien das Ding fast me n schliche Gestalt zu besitzen, im nächsten war es eine sich windende Ansammlung von Ranken. Aber meistens war es ein Klumpen sich verä n dernder Schatten, die sich weigerten, von geisterhaften Augen klar wahrgenommen zu werden.
Es beachtete sie nicht und beugte sich bedrohlich und gestal t los über Earl.
»Geh weg von ihm!«, schrie Cathy.
Der Schatten ignorierte sie und ließ geschwärzte Glie d maßen über den Vampir gleiten.
»Ich sagte, geh weg von ihm!«
Sie schlug ohne nachzudenken zu. Sehr zu ihrer Überr a schung trafen ihre ephemeren Fäuste auf einen Wulst aus Dunkelheit, der ein Kopf hätte sein können. Das Ding quietsc h te und wich zurück. Cathy bewegte sich zwischen Earl und dem Schatten.
Der nahm eine beinahe menschliche Gestalt an. Zwei blutr o te Augen flackerten.
Cathy begegnete seinem Blick mit einer Furchtlosigkeit, die davon herrührte, dass sie tot war – und auch von dem Wissen, dass es nur wenig mehr gab, was man ihr noch antun konnte. Das hoffte sie zumindest.
»Verschwinde!«
Da lag etwas in den Augen des Dings. Es war keine Angst. Vielleicht der Respekt vor einer anderen Schatte n kreatur. Vielleicht Achtung vor ihrer Entschlossenheit. Was auch immer es sein mochte, der Schatten entschied, dass der Vampir nicht wichtig genug war, um sich ihr entgegenzustellen. Er glitt davon. Cathy bemerkte plöt z lich, dass er nicht allein war. Vier weitere Formen schl i chen über den Friedhof. Die fünf kaum wahrnehmbaren Nebelbänke rollten die Straße entlang in Ric h tung Diner. Eine trat neben das Neonschild des Diners und gerann unter dem grellen Licht zu einer festen Form.
Es war ein Mann (oder etwas, das einmal ein Mann g e wesen war) mit grüner Haut und zerlumpter Kleidung. Es hob den Kopf ins Licht und zischte. Die Raben auf dem Schild kräc h zten laut und flogen davon. Das Leuchtschild erlosch und die Kreatur wurde wieder zu einem Schatten, der in der Dunkelheit verschwamm.
Cathy wandte sich zu Earl um. Er atmete nicht, bewegte sich nicht. Er lag nur da, mit einem Holzpfahl in der Brust, und starrte mit leerem Blick nach oben. Sie wusste nicht, ob er tot war, aber er hatte ihr gesagt, dass ein Pflock durch das Herz nicht tödlich war . Oder dass er tödlich war? Sie konnte sich nicht erinnern.
»Verdammt, Earl! Sei nicht tot! Bitte, sei nicht tot!«
Sie drehte ihn auf den Bauch und packte den Pfahl. Er stec k te in dem Vampir, deshalb konnte sie ihn anfassen. Sie zog. Er steckte fest. Sie hielt Earl mit einem Fuß auf dem Boden und drehte und zerrte. Die Stange bewegte sich. Nicht viel. Kaum einen Zentimeter.
»Komm schon«, knurrte sie, während sie ihren Griff verstärkte und mit aller Kraft zog.
Und die Ghoule quollen weiter in Richtung Diner.
FÜNFZEHN
In Gil's All Night Diner saßen Duke und Marshall Kopp an der Theke und tranken Kaffee, während Loretta die Salz- und Pfefferstreuer auffüllte.
»'rausgefunden, wohin diese Leichen verschwunden sind?«, fragte Duke zwischen zwei Schlucken.
»Hab ein Bein und ein paar Reifenspuren gefunden«, antwo r tete Sheriff
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