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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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nach dem Film fast doppelt so viel Eis wie die, die nicht auf Diät waren. Standen die Süßigkeiten am anderen Ende des Raums, aßen die Diät-Testpersonen nur halb so viel Eis wie die Vergleichsgruppe, weil ihre Impulskontrolle nicht durch die ständige Versuchung erschöpft war. Von außen auferlegte Restriktionen strengen das Gehirn dabei weniger an: Hatte man den Teilnehmern verboten, während des Films die Süßigkeiten anzurühren, fiel es ihnen leichter, anschließend dem Eis zu widerstehen. Dieses Experiment gibt es in vielen Varianten, und die Ergebnisse decken sich: Wenn man über längere Zeit einen bestimmten Wunsch unterdrückt, lässt die Kraft der Impulskontrolle nach.
    Durch Gebrauch ihrer Kontrollfähigkeit erschöpfte Versuchsteilnehmer geben mehr Geld aus, können schlechter Entscheidungen treffen, ertragen weniger Schmerzen, werfen beim Lösen schwieriger Aufgaben schneller das Handtuch und unterdrücken ihre Vorurteile weniger erfolgreich als die Teilnehmer aus der Kontrollgruppe. Wer sich tagsüber im Beruf zusammenreißen muss, trinkt abends mehr und kann Versuchungen schlechter widerstehen. Die Anpassung an Stress in jeder Form (etwa Lärm, Gedränge, Gestank, Bürokratie oder Diskriminierung) erfordert Selbstkontrolle und schwächt sie daher. Unter anderem deshalb fangen ehemalige Raucher in Stresssituationen häufig wieder an zu rauchen, Trinker greifen zur Flasche, Fastende zum Schokoriegel.
    Was genau bei der Betätigung dieser Kontrolle aufgebrauchtwird, ist nicht ganz klar, aber die Hauptverdächtige ist derzeit Glukose. Das Gehirn funktioniert nach der «Last in, first out»-Regel: Fähigkeiten, die der Mensch entwicklungsgeschichtlich spät erworben hat, fallen als erste aus, wenn die Funktion des Gehirns beeinträchtigt wird, zum Beispiel durch Sauerstoff- oder eben Glukosemangel. Impulskontrolle ist ein solcher Neuzugang im Gehirn und noch dazu eine überdurchschnittlich anstrengende Tätigkeit. Schon bei nur leicht gesenktem Blutzuckerspiegel funktioniert sie messbar schlechter. Das ist bitter für alle, die ihre Impulskontrolle einsetzen, um Diät zu halten, denn wenn durch das Hungern der Blutzuckerspiegel sinkt, verringert sich gleichzeitig die Fähigkeit, allen möglichen Versuchungen zu widerstehen. Man sollte daraus allerdings nicht den Schluss ziehen, dass der Verzehr einer Tüte Gummibärchen übermenschliche Selbstkontrollfähigkeiten verleiht. Zu wenig Zucker im Blut schwächt zwar die Selbstkontrolle, aber zu viel Zucker steigert sie leider nicht.
    Was sich in Experimenten dagegen als hilfreich erwiesen hat, um die Erschöpfung der Selbstregulationsfähigkeit wenigstens hinauszuzögern (denn vermeiden lässt sie sich nicht), waren finanzielle Anreize, gute Laune, Humor und rechtzeitig formulierte klare Pläne à la «Wenn ich in Situation A gerate, greife ich zu Verhaltensweise B». Letzteres schont das Gehirn offenbar, weil es einfach nur eine Regel aus der Schublade zu ziehen braucht, anstatt mühsam Kontrolle über widerstreitende Impulse auszuüben. Dass gute Laune die Impulskontrolle stärkt, ist insbesondere für alle diejenigen eine wichtige Information, die sich wegen ihres schlampigen Lebenswandels gern dem Missmut und Selbsthass ergeben. Wenn man fröhlich nichts oder das Falsche tut, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man sich doch noch zur gefühlt richtigen Tätigkeit durchringen kann.
    Bevor man Energie in die Vermeidung einer bestimmten Verhaltensweise steckt, lohnt sich daher die Überlegung, wie das Ziel möglichst ganz ohne Betätigung der Impulskontrolle zu erreichen ist. Zum einen kann man die Häufigkeit der Gelegenheiten reduzieren, zu denen man seine Impulskontrolle benötigt: Um vorhandene Schaumzuckermäuse nicht zu essen, muss man sich andauernd stark beherrschen. Um Schaumzuckermäuse nicht zu kaufen, braucht man sich nur im Supermarkt zu beherrschen, also schon deutlich seltener. Zum anderen kann man Impulskontrolle durch konkrete Hindernisse ersetzen. Wer in einer S M-Beziehung lebt, hat es leicht und kann sich einfach am Schreibtisch festketten lassen, bis die Diplomarbeit geschrieben ist. Alle anderen profitieren vielleicht von einem Tipp aus dem Selbsthilfeforum procrastinators-anonymous.org:
    «Richtet euch in einem gut beheizten Raum ein Arbeitszimmer ein, in dem ihr ausschließlich Arbeitssachen aufbewahrt. Wenn ihr euch zum Lernen zurückzieht, nehmt so viel Essen, Koffein und Bücher mit, wie ihr für einen Arbeitseinsatz von

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