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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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verschrieben bekommen – Kathrin Passig wegen ihrer Narkolepsie und Sascha Lobo wegen seines ADS – und das Buch ohne Ritalin viele leere Seiten hätte, verdient das Medikament ein eigenes Kapitel. Andere hilfreiche Chemikalien lassen wir links liegen, weil sie längst von jedem LOBO ausprobiert wurden (Kaffee, Cola, Clubmate, Red Bull) oder verboten sind. Der Wirkstoff Methylphenidat fällt in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz und wird unter verschiedenen Präparatenamen wie Ritalin, Medikinet, Concerta oder Equasym vor allem an Kinder, aber auch Erwachsene mit ADS verschrieben. Heftige Prokrastination ist ein wichtiges Symptom von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen und wird durch Ritalin oft wesentlich gelindert.
    Das bei seiner Markteinführung in den fünfziger Jahren noch rezeptfreie Ritalin hatte in den letzten Jahren keine gute Presse. Das liegt vor allem am dramatischen Anstieg desRitalinkonsums – die weltweite Produktion von Methylphenidat stieg zwischen 1990 und 2005 von 2,8 auf 28,8   Tonnen. Der Gesamtmarkt in Deutschland wird derzeit auf 80   Millionen Euro beziffert. Die Zeitschrift «Nature» veröffentlichte im April 2008 die Ergebnisse einer Umfrage zum Gebrauch leistungssteigernder Medikamente unter ihren Lesern: 20   Prozent der 1400   Teilnehmer hatten ihrer – vermutlich überwiegend wissenschaftlichen – Arbeit bereits mit Medikamenten nachgeholfen, und wiederum 62   Prozent dieser Gruppe setzten dabei auf Ritalin. 80   Prozent aller Befragten fanden nichts dagegen einzuwenden.
    Wie jeder dramatische Anstieg von irgendwas ruft auch der des Ritalinkonsums die Kulturpessimisten auf den Plan. Aber Ritalin ist nicht das erste Mittel zur Erweckung von Tatendrang, das auf Kritik stößt. Der Kaffee hatte es bei seiner Einführung in Mitteleuropa nicht viel leichter. Johann Heinrich Jung-Stilling ermahnte das Volk 1782 in seinem «Beweis für den Bürger und Landmann, dass der Kaffee für die Gesundheit, für die Haushaltung und für das ganze Land ein höchstschädliches Getränk sei» mit den harten Worten: «Noch eine andere Kaffeeschwester wendet ein, sie müsse ihn trinken, sonst sei sie krank. Nun denke sie, wie tief sie schon ins Verderben geraten ist! So weit sind ihre Nerven schon gekommen, dass sie von dem natürlichen Feuer des Lebens nicht mehr entzündet werden. Sie müssen fremdes Feuer, sie müssen Kaffee haben. Es ist hohe Zeit, dass sie sich alle Monat täglich eine Tasse abzieht. Stattdessen sollte sie mittags ein Glas Bier bei Tische trinken, bis sie ganz davon ab ist.» Die Industrialisierung ging mit einer allgemeinen Umstellung vom Volksgetränk Bier auf Kaffee und Tee einher, und die damals geäußerten Bedenken gegen künstlich erzeugte Arbeitsamkeit ähneln den heute vorgebrachten. Dass die Welt das «fremde Feuer» Koffein bisher ganz gut verkraftet hat, spricht dafür, dass auch der Einsatzvon Ritalin nicht gleich den Untergang des Abendlandes nach sich ziehen wird – auch wenn es sich in Diskussionsforen häufig so anhört.
    Warum Ritalin bei Arbeits- und Konzentrationsstörungen hilft, ist noch nicht ganz geklärt. Einige Forscher führen Prokrastinationsprobleme auf Unordnung im dopaminergen System zurück, was im Groben bedeutet, dass im Gehirn zu wenig Stoffe ausgeschüttet werden, die eine Tätigkeit interessant und wichtig erscheinen lassen. Dafür spricht unter anderem, dass Aufschieber ihre Arbeit problemlos erledigen können, sobald der Deadlinestress eingesetzt hat, wenn also mehr Adrenalin und verwandte Hormone ausgeschüttet werden. Ritalin hemmt unter anderem die Wiederaufnahme von Dopamin, sodass mehr davon im Gehirn zirkuliert. Dopamin wird auch bei Flow-Erlebnissen (siehe Seite 75) ausgeschüttet, und unter seinem Einfluss erledigt sich die Arbeit wie von selbst.
    Außerdem ist es unter dem Einfluss von Ritalin anscheinend leichter, sich für eine Tätigkeit zu entscheiden, die sich erst später auszahlt. Zumindest spricht dafür folgender Tierversuch: Man stellt Ratten vor die Wahl zwischen zwei Hebeln. Betätigen sie den einen, wird sofort eine kleine Belohnung in Form von Zuckerwasser ausgegeben, betätigen sie den anderen, wird mit einer Verzögerung von bis zu fünfzig Sekunden die vierfache Menge an Zuckerwasser ausbezahlt. Ohne Doping ziehen Ratten den Hebel mit der schnellen Belohnung vor, unter dem Einfluss von Ritalin entwickeln sie größeres Interesse am zweiten Hebel.
    Bei konkreten und hartnäckigen

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