Dinner fuer drei Roman
beinahe oben, und um sofort wieder runterzuklettern, fehlt mir die Energie.«
Offenbar war er zu dem Schluss gekommen, dass es zu gefährlich war, weiter mit ihr zu diskutieren, deshalb blieb er dicht an ihrer Seite, bis sie auf der Spitze der Bahn angekommen war. Dann glitt er unter den Schienen hindurch, packte ihre Arme und zog sie neben sich herauf. Sie sanken erschöpft zusammen, während ihre Beine zwischen den beiden Fahrspuren kraftlos in der Luft baumelten. »Du bist total verrückt«, stieß er hervor.
»Ich weiß.« Ihr Rock blähte sich um ihrer beider Körper und das Gerüst.
Hoch über der Miniaturwelt - den Baumwipfeln, die wie winzige grüne Schwämme aussahen, dem See, der wie ein kleiner runder Spiegel dalag, und dem Kirchturm in der Ferne, der wie der ausgestreckte kleine Finger einer Hand in den
Himmel ragte - hoben sich ihrer beider Silhouetten dunkel von dem farbenfrohen Abendhimmel ab.
Sie blickte auf die legendäre erste Abfahrt. »Weißt du, was passiert, wenn man unten ankommt?«
»Was?«
»Man fährt wieder hinauf«, erklärte sie ihm leise. »Immer wieder hinauf. In einer Berg-und-Tal-Bahn ist die Hölle etwas, woraus man immer wieder auftaucht.« Bitte, lieber Gott, mach, dass das wirklich wahr ist.
»Wenn man beschuldigt wird, die beiden Menschen, die man am meisten liebt, sexuell missbraucht zu haben, ist die Hölle so etwas wie ein Lebensstil«, erwiderte er barsch. »Es gibt immer wieder Väter, die so etwas wirklich tun. Unmenschliche, perverse Schweine, die die heiligste Verantwortung entweihen, die ein Mann nur haben kann.«
»Aber du bist kein solches Schwein.«
»Nein, ich bin kein solches Schwein. Eher würde ich mich umbringen, als meinen Töchtern jemals wehzutun. Das meine ich nicht bildlich, Honey. Ich meine es wirklich ernst. Ich liebe sie mehr als mein eigenes Leben.«
»Wie kommt ihre Mutter auf einen derartigen Vorwurf?«
»Ich habe keine Ahnung«, rief er verbittert. »Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass sie denkt, es sei wirklich wahr. Sie glaubt allen Ernstes, ich hätte den beiden diese - diese unaussprechlichen Dinge angetan.« Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, ehe er voller Erregung fortfuhr. Die Worte, die er viel zu lange zurückgehalten hatte, brachen sich urplötzlich Bahn. Während sie im schwindenden Licht des Neujahrsabends oben auf dem Gerüst der Berg-und-Tal-Bahn saßen, erzählte er ihr vom Tod seines Stiefbruders Jason und davon, wie er über Jahre hinweg von Schuldgefühlen gepeinigt worden war. Erzählte von seiner Ehe mit Lilly, der Geburt der Zwillinge, der Freude, die die Mädchen ihm bereiteten, und dem Grauen, das mit Lillys Anschuldigung über ihn hereingebrochen war.
Während sie ihm lauschte, hegte sie nicht den geringsten Zweifel daran, dass es die Wahrheit war. Sie erinnerte sich an all die bösen Spielchen, all die harschen Worte, die bedrohlichen Mienen, mit denen er sie absichtlich in die Flucht geschlagen hatte. All das war nicht echt gewesen. Allein die Sanftmut des Clowns hatte ihr die Wahrheit über Eric Dillon gezeigt.
Doch sie hörte auch die Worte, die er nicht aussprach, spürte die entsetzliche Verantwortung, die er für das gesamte Elend in der Welt zu tragen schien, und endlich verstand sie den Fluch, der auf ihm lastete. Er glaubte tatsächlich, er müsse dafür sorgen, dass alles gut würde.
Sie konnte nicht auf diesen Schmerz eingehen, doch für den Schmerz, den ihm seine Töchter bereiteten, fand sie verständnisvolle Worte. »Vielleicht tust du deinen Töchtern noch mehr weh, indem du gar nicht erst um sie kämpfst«, meinte sie mit sanfter Stimme. »Es ist schrecklich, einen Elternteil zu verlieren, wenn man noch so klein ist. Es verändert einen für immer. Der Tod meiner Mutter hat alles, was ich anschließend getan habe, geprägt. Sogar das Muster, nach dem ich mich verliebt habe. Nach ihrem Tod habe ich mein ganzes Leben mit der Suche nach einer Familie zugebracht. Dash musste erst mein Vater sein, ehe er mein Mann sein konnte. Das willst du den beiden doch gewiss ersparen. Du willst doch bestimmt nicht, dass sie ihr Leben als Erwachsene damit verbringen, in jedem Mann, dem sie begegnen, den verlorenen Vater zu suchen.«
Seine Verzweiflung war so allumfassend, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte, doch sie fürchtete sich davor, ihn zu berühren. Sie fürchtete, er könnte diese Geste falsch verstehen. Sie hatten sich geliebt, und dennoch erschien ihr selbst eine
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