Dinner für eine Leiche
ihr vorbeizuschauen.
»Es tut mir leid, ich dachte, Sie sprächen von einem der Zimmermädchen«, erklärte Honey, nachdem Mary Jane sie auf einen Stuhl gedrückt hatte.
»Ich habe ja wirklich über eine Magd gesprochen!«, rief Mary Jane aus. Ihre Augen blitzten. »Sie war anscheinend ein Zigeunerkind, das man auf der Türschwelle ausgesetzt hatte, und Sir Cedrics Frau hat sie aufgenommen. Ehe Sie nun fragen, welche seiner Frauen das war, sage ich Ihnen gleich, die zweite. Sie wissen ja, wie das mit Sir Cedric war.«
Honey setzte den ernstesten Gesichtsausdruck auf, zu dem sie in der Lage war, und nickte. Natürlich wusste sie Bescheid. |127| Laut Mary Jane war Sir Cedric, ein Herr von einigem Reichtum, der um 1750 herum gestorben war, dreimal verheiratet gewesen und wie wild hinter jedem Rockzipfel hergejagt. Mary Jane behauptete, in gerader Linie von ihm abzustammen.
»Ich verstehe«, sagte sie, als hätte man ihr gerade erzählt, dass jemand die Nachbarkatze überfahren hatte.
Zum x-ten Mal, seit Mary Jane den Fuß in das Green River Hotel gesetzt hatte, fragte sich Honey, warum sie sich ihre Geschichten immer wieder anhörte. Und doch lauschte sie stets mit weit aufgerissenen Augen. Gespenster erschienen bei Mary Jane und erkundigten sich bei ihr danach, was sie wohl in ihrem Leben falsch gemacht hatten. »Ab und an komme ich mir vor wie eine richtige Kummerkastentante«, hatte ihr Mary Jane einmal gestanden. »Manchmal wollen sie aber einfach nur Eindruck schinden.«
»Natürlich.«
Das konnte man weder bestreiten noch widerlegen. Noch viel weniger glauben! Aber Mary Jane war so nett, dass Honey es einfach glauben
wollte
.
»Jedenfalls«, fuhr Mary Jane fort, »besteht Polly felsenfest darauf, dass sie das zweite Gesicht hat und Karten lesen kann und was noch alles. Ob sie das zu einer waschechten Zigeunerin macht, weiß ich nicht.«
Honey wusste es auch nicht. Es handelte sich zwar um eine tote Zigeunerin, aber dazu schwieg sie lieber.
»Jedenfalls materialisiert sie sich gewöhnlich im Rosengarten bei der Sonnenuhr.«
Das war mal eine Neuigkeit!
»Wir haben doch gar keine Sonnenuhr – und auch keinen Rosengarten, wenn ich es recht bedenke.«
»Ja, jetzt natürlich nicht«, sagte Mary Jane und tätschelte Honeys Rechte mit ihrer faltigen Hand, als wäre die gerade in die erste Klasse eingeschult worden. »Aber früher, als sie hier gearbeitet hat, gab es einen Rosengarten und eine Sonnenuhr.« |128| Sie schaute zur Decke hinauf, wie immer, wenn sie sich sammelte. »Was habe ich gerade erzählt? Ach ja! Sie hat geweissagt, dass jemand, der verheiratet war, es aber nicht mehr ist, ein schreckliches Ende nehmen wird. Sie sagte, die Frau sollte vorsichtig sein und nicht in einem Wagen fahren, besonders wenn keine Pferde davorgespannt sind.«
Honey blinzelte. »Ein pferdeloser Wagen. Ein Auto.«
Mary Jane schloss ein Auge und dachte ein paar Sekunden über diese Bemerkung nach. »Ein Auto. Ja, da könnten Sie recht haben.«
»Kennen wir den Namen der bedrohten Person?«, fragte Honey.
»Sie wird jeden Augenblick auftauchen …«
Die Tür sprang auf, und Gloria Cross, Honeys Mutter, hatte ihren großen Auftritt.
Begleitet vom Klacken ihrer hochhackigen Pantoletten, kam sie hereingerauscht. Sie trug ein Schneiderkostüm in einem hellen Lavendelton, das am Saum reichlich mit von Hand aufgenähten silbernen Rosenknospen übersät war.
Honey warf Mary Jane einen Blick zu, der eine schlimme Vorahnung ausdrückte. Mary Jane warf genauso einen Blick zurück.
Gloria Cross drehte sich zwischen den beiden Frauen und der Verandatür einmal um die eigene Achse.
»Ratet mal, was geschehen ist? Roland nimmt mich zu einem Mittagessen bei den Freimaurern im Grover Park mit.« Sie hielt inne, um die Wirkung auszukosten, und ihre Augen funkelten begeistert. »In seinem Rolls-Royce!«
Honey und Mary Jane wechselten weitere besorgte Blicke. Was die Scheidungen betraf, war Honeys Mutter für Mary Janes Weissagung beinahe überqualifiziert.
»Das geht nicht!«, rief Mary Jane aus.
»Musst du unbedingt mit ihm da hinfahren?« In Honeys Stimme schwang eine gewisse Skepsis mit. Eigentlich wollte |129| sie Mary Janes Warnung nicht ernst nehmen, aber man konnte ja nie wissen …
Gloria wirkte beunruhigt. »Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie lange das her ist, seit ich zum letzten Mal mit einem attraktiven, aufmerksamen Mann in einem Rolls Royce gefahren bin?«
In Gedanken sagte sich Honey, dass Mary Janes
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