Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
Familie zu tätigen und seine geliebte Schwägerin deshalb heute dafür zuständig war, huschte ein schadenfrohes Grinsen über sein Gesicht.
Was bist du doch für ein elender Mistkerl!, warf seine innere Stimme, wie immer ungefragt, dazwischen. Diesmal ließ Tannenberg den Quälgeist aber gewähren, freute sich sogar über dessen anerkennende Bestätigung.
Schmunzelnd überquerte er die Richard-Wagner-Straße.
Freu dich ja nicht so früh! Weißt du eigentlich nicht mehr, was dich jetzt zu Hause erwartet?, fragte sein psychisches Korrektiv, dem die Zustimmung absolut nicht zu behagen schien. Ich sag nur eins: Brunch!
„Ach du Scheiße!“, kam es Tannenberg so laut über die Lippen, dass sich ein vor ihm gehendes junges Pärchen erschrocken zu ihm umwandte.
Das hatte er doch tatsächlich vergessen! Ein schneller Blick auf die Datumsanzeige seiner Armbanduhr verschaffte ihm die schreckliche Gewissheit, dass der heutige Samstag augenscheinlich der dritte des Monats war. Und damit war Brunchtime im Hause seines Bruders angesagt.
Noch bevor er den obligatorischen Morgengruß an die versammelten Mitglieder der Großfamilie richten konnte, wurde er von Heiner in Beschlag genommen.
Heftig mit einer Zeitung wedelnd kam er auf ihn zugestürmt. „Hast du diese Sauerei hier schon gesehen?“
Tannenberg blieb gelassen, schälte sich mit langsamen Bewegungen aus seiner Jacke. „Welche Sauerei?“
Heiner schlug die Zeitung auf, hämmerte mit seiner rechten Hand auf einem Artikel herum. „Hier mitten auf der Seite. Lies selbst!“ Er faltete die Pfälzische Allgemeine Zeitung , die man in der Gegend eigentlich nur unter der Kurzbezeichnung PALZ kannte, so, dass die besagte Stelle Tannenberg direkt in die Augen stach.
„Dilettantismus pur“, begann der Kriminalbeamte vorzulesen.
In der Küche war es plötzlich mucksmäuschenstill.
„Was für eine Überschrift“, bemerkte Tannenberg kopfschüttelnd. Dann führte er nach einer Wiederholung des Aufmachers die unterbrochene Lektüre des Zeitungsartikels fort:
Dilettantismus pur
Kaiserslauterer Lehrer debütiert mit
Trivial-Lyrik-Bändchen
Heiner hatte während Tannenbergs Vortrag die ganze Zeit über mit gesenktem Kopf und zusammengepressten Lippen schräg vor ihm gestanden, war bei einigen Passagen zusammengezuckt.
„Komm, mach dir doch nichts aus diesem Schwachsinn! Ich bin jedenfalls unheimlich stolz auf dich, egal was sich dieses Schreiberpack da zusammenfaselt! Aber ein lustiges Kürzel hat der Rezensent schon. Findest du nicht auch?“
„Ich find’s überhaupt nicht lustig! Das ist eine Riesensauerei!“, schimpfte Heiner außer sich vor Wut.
Tannenberg legte seinen rechten Arm um die Schulter seines Bruders und zog ihn zu sich heran. „Hast ja recht! Aber was kümmert’s dich. Denk an den alten Spruch: Was stört es die deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr kratzt!“
Heiner ging auf die tröstenden Worte Tannenbergs nicht ein. Er schmiedete gerade rotglühende Rachegedanken. „Wenn ich den erwische, dem drehe ich eigenhändig den Hals um. Dieser Drecksack!“
„Nicht schlecht! Dann könnte ich endlich mal direkt bei mir zu Hause Mordermittlungen durchführen. Und müsste nicht andauernd in der Gegend rumfahren.“
Heiner wollte immer noch keine Ruhe geben. „Wer ist das überhaupt: ›kiwi‹? So ein kindisches Kürzel.“
„Das müsstest doch du wissen, herzallerliebste Schwägerin. Du kennst dich doch bestens bei diesen aufgeblasenen Kulturfritzen aus“, schleuderte Tannenberg einen giftgetränkten Fehdehandschuh Betty direkt vor die Füße.
„Na ja, im Gegensatz zu dir, lieber Wolfi, weiß ich wenigstens, dass es in der PALZ einen Kulturteil gibt und nicht nur einen Sportteil“, konterte Heiners Ehefrau schlagfertig. „Aber ›kiwi‹ hab ich dort noch nie gelesen. Das muss ein neuer Feuilleton-Redakteur sein – oder ein neuer freier Mitarbeiter.“
Tannenberg warf die Stirn in Falten. „Sagt mal, wieso steht denn eigentlich heute schon eine Rezension in der Zeitung, wenn es die Bücher erst ab Montag zu kaufen gibt?“
„Oh Gott, ist mein werter Schwager so naiv – kulturelles Brachland!“, spottete Betty und schlug sich dabei demonstrativ mit der flachen Hand an die Stirn. „Hast du noch nie etwas von Rezensionsexemplaren gehört, die manchmal schon Wochen vor dem offiziellen Erscheinungstermin an die Zeitungsredaktionen verschickt werden? Du bist mir vielleicht ein unverbesserlicher
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