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Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Titel: Dinotod: Tannenbergs vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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konfrontierten, dass nicht nur sein Arbeitsplatz vollklimatisiert war, sondern auch sein ereignisarmes, unspektakuläres Leben.
    Ich sitze festgeschnallt in einer von zwei Hexen gesteuerten Lokomotive, die auf festverankerten Gleisen fährt – nur wohin? Das ist die entscheidende Frage. – Quatsch! Die andere ist noch viel wichtiger: Will ich in diesem Geisterzug überhaupt noch länger mitfahren? Nein, nein und nochmals nein!
    Plötzlich piepste seine Schreibtischuhr, die von ihm so programmiert worden war, dass sie ihn genau zwei Minuten vor dem Ende seiner Arbeitszeit akustisch an den baldigen Dienstschluss erinnerte.
    Und genau diese Zeit benötigte er auch stets, um seinen Schreibtisch aufzuräumen, seine Tasche zu packen, seine Jacke überzustreifen, sich zur Tür zu begeben, einen letzten prüfenden Blick in sein Büro zu werfen, vorschriftsmäßig den Schlüssel zweimal im Schloss zu drehen, die zweiundsechzig Betonstufen hinunter zur Eingangshalle zu überwinden und als finalen Akt seines Arbeitstages die Stechkarte stempeln zu lassen.
    Mit einem routinemäßigen Blick auf die an diesem elektronischen Zeitmesskasten angebrachte Digitaluhr überzeugte er sich davon, dass sein Timing wieder einmal präzise funktioniert hatte: es war Punkt 17 Uhr.
    Wie an jedem Nachmittag machte er sich zu Fuß auf den Heimweg. Die Familie konnte sich nur ein Auto leisten, und dieses wurde von seiner Frau benötigt. Angeblich für die Kinder. Aber eigentlich wohl eher für sie.
    Damit sie nicht mit dem Bus zu ihren Volkshochschul-Kursen fahren muss!, rumorte es in seinem Innern, als er die Kaiserslauterer Fußgängerzone erreichte. Ich kann ja laufen. Bei Wind und Wetter!
    Die Fackelstraße war wie stets um diese Uhrzeit sehr belebt. Mit langen, bedächtigen Schritten reihte er sich in den auf der rechten Seite in Richtung Karstadt dahinfließenden Menschenstrom.
    Seine gläsernen Augen schwebten über den Köpfen dieser trägen, zähflüssigen Masse, streiften für einen kurzen Moment die jeweils in seinem Gesichtsfeld auftauchenden Schaufenster und Reklametafeln, ohne sie aber zu fixieren.
    Trotz der ihn umgebenden geschäftigen Betriebsamkeit war er wie bei einer Meditation völlig in der Welt seiner Gedanken versunken, ließ sich willenlos treiben, war Teil einer ebenso anonymen wie schützenden Herde.
    Ich will eigentlich überhaupt nicht nach Hause. Ich will mich nicht länger als Versager beschimpfen lassen, jammerte er vor sich hin. Ich will nicht mehr unter diesem Matriarchat leiden! Ich muss etwas dagegen unternehmen, sonst werde ich noch verrückt. Vielleicht bin ich ja auch schon verrückt.

6
    Gleich nach seiner Einfahrt in die Beethovenstraße entdeckte Tannenberg die Schleicherin. Wie stets, wenn er unvermittelt mit ihrem Anblick konfrontiert wurde, verspürte er auch diesmal wieder sofort einen kurzen, stechenden Schmerz in der Magengegend.
    Vom regnerischen Wetter scheinbar völlig unbeeindruckt frönte die freundliche ältere Dame ihrer Lieblingsbeschäftigung: Sie flanierte kontaktgierig und informationslüstern durch die engen Straßen des Musikerviertels.
    Wie immer befand sie sich in Begleitung ihres mit einem wärmenden Leibchen umhüllten Pudels, dem allerdings die herrschenden Witterungsverhältnisse nicht sonderlich zu behagen schienen: Wie eine wasserscheue Katze setzte er seine Pfoten nur sehr widerwillig und mit demonstrativer Bedachtsamkeit auf den nassen, glänzenden Bürgersteigplatten ab.
    Sofort nachdem die Schleicherin das Geräusch des herannahenden Autos in ihrem Rücken vernommen hatte, drehte sie ihren, von einem ausladenden, bunten Regenschirm geschützten massigen Körper in Richtung des potentiellen Grußadressaten. Ganz im Gegensatz zu ihrem trägen, überfütterten Hund, der wie ein Ölgötze stur in seiner Ausgangsposition verharrte.
    Mit ihrer erprobten Sensorik hatte sie in Windeseile den tannenbergschen Sharan als bekannt identifiziert. Nun nahm das Ritual seinen gewohnten Lauf: Mit Hilfe einer automatisierten, geschwinden Bewegung überreichte die rechte Hand der linken, die ja bereits den Knauf des Regenschirms festhielt, die Griffbox der flexiblen Hundeleine.
    Damit war alles Notwendige vorbereitet: Das Opfer war ins Visier genommen, die Hand stand uneingeschränkt zur Verfügung. Die jahrelang eingeübten Bewegungsabläufe konnten nun abgespult werden: Der rechte Arm schnellte entlang der Körperlängsachse nach oben und rastete direkt neben dem Schultergelenk ein. Die

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