Dir darf ich nicht gehören
ein Pendel. Sie wirkte unendlich verführerisch.
Er
hatte alles Vertrauen in Unschuld, Reinheit, Treue und auch Liebe verloren,
lange bevor er seine Kindheit hinter sich gelassen hatte. Er war niemals
verliebt gewesen und hatte niemals mehr als eine oberflächliche, unbeschwerte
Freundschaft mit Frauen genossen. Frauen waren für Sex und Kinder da. Er wollte
keine Kinder.
Aber
vielleicht, dachte Ferdinand, als sich die Tür ihres Schlafzimmers hinter ihr
schloss und der Flur wieder in Dunkelheit getaucht war, gab es doch noch
Qualitäten wie Tugend und Unschuld und unkomplizierte Natürlichkeit.
Vielleicht
gab es sogar Liebe.
Und
Treue.
Und
vielleicht war er einfach müde, dachte er, während er seine vergessenen Kleider
im Mondlicht ausmachte und aufhob, bevor er zu seinem Schlafzimmer ging. Es war
immerhin ein langer Tag gewesen und noch dazu ein außerordentlich geschäftiger
Tag.
Es gab
eine Möglichkeit, wie sie beide in Pinewood bleiben könnten, dachte er, als er
sein Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss. Aber er würde diesen
Gedanken heute Nacht nicht weiterverfolgen. Und auch morgen nicht, wenn er klug
war.
Er war
als Junggeselle vollkommen zufrieden.
Ah, schön, hatte
sie ihm zugemurmelt, ihre Stimme kehlig vor Leidenschaft, und sie hatte ihre
Wange weich an ihn gelehnt.
Ja. Es
war schön, wirklich.
Er
betrat zielbewusst seinen Ankleideraum.
Viola war über die
Abwesenheit Lord Ferdinand Dudleys von Pinewood am darauf folgenden Morgen
sowohl erleichtert als auch bestürzt. Während einer langen, fast schlaflosen
Nacht hatte sie sich gefragt, wie sie ihm beim Frühstück gegenübertreten
sollte. Allerdings war seine Abwesenheit der Tatsache zuzuschreiben, dass er
mit Mr. Paxton ausgeritten war, um den zum Gutshaus gehörenden Gutshof zu
besichtigen. Anscheinend interessierte ihn die Führung durch das Gut, zumindest
im Moment. Viola empfand seine diesem Zweck geschuldete Abwesenheit als
gewaltige Einmischung. Sie war von Anfang an persönlich dafür eingetreten,
Pinewood zu einem leistungsfähigen, gedeihenden Betrieb zu machen. Und es war
ihr, mit Mr. Paxtons Hilfe und Rat, recht gut gelungen. Sie hatte es geliebt.
Heute
waren keine großen Pläne umzusetzen. Nur derjenige am Nachmittag, der bereits
lahm und zum Scheitern verurteilt schien. Wie um ihre niedergeschlagene
Stimmung noch zu unterstreichen, schien das wunderbar warme, sonnige Wetter
Somersetshire verlassen zu haben. Leichter Nieselregen verhüllte die Sicht und
ein tiefgrauer Himmel verdunkelte den Frühstücksraum.
Das
Problem war, dass sie nicht wusste, welche von zwei Sünden sie sich eher
vorzuwerfen hatte. Sie hatte vor dem Feind kapituliert, ihm erlaubt, sie im Arm
zu halten und zu küssen. Und teilweise - oh, mehr als nur teilweise -
war das geschehen, weil er in Hemdsärmeln und der hautengen Abendhose um die
langen, muskulösen Beine unwiderstehlich anziehend gewirkt hatte und weil sie
sich unerträglich einsam und ungeliebt gefühlt hatte. Wie konnte sie sich
verzeihen, dem Verlangen nach einem solchen Mann nachgegeben zu haben? Und doch
würde sie sich lieber wegen ungezügelter Lust beschuldigen als aus einem
anderen Grund.
Sie
hatte sich in seinen Armen halbwegs in Leidenschaft verloren, aber eben
wirklich nur halbwegs. Die andere Hälfte ihres Selbst hatte leidenschaftslos
zugesehen, wie sie sich ihm entgegenbog, ihre Brüste an seiner harten Brust,
ihre Oberschenkel an seinen, ihr Bauch an seiner harten Erektion. Sie hatte
erkannt, welche Wirkung sie auf ihn ausübte, welche Macht sie über ihn besaß.
Sie hätte ihn fast mühelos verführen können. Ihre leidenschaftliche Hälfte
hatte sich genau danach gesehnt: für ihn bereit zu sein, von seiner reinen,
jugendlichen Männlichkeit Vergnügen zu empfangen. Aber ihre nüchternere Hälfte hatte
die Möglichkeit, ihn zu verführen, in einer völlig anderen Richtung bedacht: im
Hinblick auf Liebe und sogar Heirat.
Viola
war über diese Hälfte ihres Selbst zutiefst beschämt.
»Ja«,
sagte sie, als der Butler näher trat, »Sie können abdecken, Mr. Jarvey. Ich
habe heute Morgen keinen Hunger.«
Sie
ging in die Bibliothek und setzte sich an den Schreibtisch. Sie würde nach
Hause schreiben. Zumindest brauchte sie für den restlichen Vormittag keine
Unterbrechung zu befürchten.
Wie
konnte sie nur versucht sein, ihn in sich verliebt zu machen? Sie mochte ihn
nicht, sie verabscheute ihn sogar. Außerdem war es unmöglich. Vielleicht nicht,
seine Gefühle zu
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