Dir darf ich nicht gehören
Schlafzimmern allein miteinander -
und er hegte Gedanken, die nichts in seinem Geist zu suchen hatten.
Lüsterne Gedanken.
Sie war
mit ihrer Empörung sicher gewappnet - zumindest im Moment. Sie hatte
wahrscheinlich noch nie etwas von Lust gehört. »Der Tisch stand an der Wand,
Mylord«, erklärte sie mit kalter Höflichkeit. »Und das Gemälde hing an der Wand. Wenn
irgendetwas dumm war, dann die Tatsache, dass Sie in betrunkenem Zustand ohne
Kerze den Flur entlanggetaumelt sind.«
»Zum
Teufel damit!«, sagte er. »Die Urne war wahrscheinlich wahnsinnig kostbar.«
»Nicht
nur das«, bestätigte sie. »Sie war außerdem unbeschreiblich scheußlich.«
Er
grinste sie bei diesen Worten offen an und wünschte dann, er hätte den Blick
abgewandt gehalten. Sie hatte diese Art Gesicht - ein vollkommenes Oval
mit hohen Wangenknochen, einer geraden Nase, großen Augen und weichen, zum Kuss
einladenden Lippen -, das ohne die Ablenkung durch schmückende Locken
noch schöner wirkte. Ihr übliches Zopfkrönchen verlieh ihr eine königliche
Aura. Der lose Zopf heute Nacht ließ sie jugendlich aussehen und verlieh ihr eine
Aura der Unschuld und Reinheit. Seine Körpertemperatur stieg noch weiter an,
während er seine Aufmerksamkeit entschlossen den Überresten der Urne zuwandte.
»Wo
kann ich einen Besen finden?«, fragte er. Vielleicht kam sein Gleichgewicht
wieder ins Lot, wenn er die Scherben auffegte.
Aber
sie tat genau das Falsche. Sie blickte direkt zu ihm hoch und lachte, wobei
ihre Augen vor Erheiterung tanzten.
»Ich
bin fast versucht, es Ihnen zu sagen«, bemerkte sie. »Das Vergnügen, Sie einen
Besen schwingen zu sehen, wäre unbezahlbar. Aber Sie sollten diesen Impuls
besser vergessen. Es ist nach Mitternacht.«
Eine
Tatsache, die er sorgfältig - und vergeblich - zu ignorieren
versuchte.
»Was
soll ich dann tun?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Ich
denke, Sie sollten zu Bett gehen, Lord Ferdinand.«
Hätte
sich doch nur seine Schädeldecke gehoben! Dann hätte ein wenig Hitze
unverfänglich in die Luft über ihm entweichen und ihn retten können. Aber das
geschah natürlich nicht. Und anstatt ihren Rat anzunehmen und in Richtung seines
Zimmers, seiner Zuflucht davonzueilen, den Blick bei jedem Schritt fest auf den
Türknauf gerichtet, beging er den Fehler, wieder zu ihr hinabzusehen, ihrem
Blick zu begegnen und zu erkennen, dass sich ihre Gedanken letztendlich der
Atmosphäre zugewandt hatten, die um sie knisterte, seit sie sich aus ihrem
Zimmer gewagt hatte.
Er
merkte nicht, wie er ihr den Kerzenleuchter aus der Hand nahm, aber es war
gewiss seine Hand, die ihn gerade auf den Tisch stellte. Und dann wandte er
sich um und umschloss mit derselben Hand ihr Kinn. Empfindungen warmer
Weichheit liefen knisternd seinen Arm hinauf.
»Sollte
ich?«, fragte er. »Aber wer bringt mich dorthin?«
Er
hätte seine Frage auch zu diesem Zeitpunkt noch selbst beantworten und sich
hastig davonmachen können, um zu Bett zu gehen. Oder sie hätte vielleicht
behilflich sein können, ihrer beider gesunde Vernunft wiederherzustellen, indem
sie irgendeine bissige Bemerkung über seine vermeintliche Trunkenheit machte
und sich dann würdevoll zurückzog. Sie hätte ihre Worte vom Vormittag über ihre
geistige Gesundheit wiederholen können. Oder sich einfach umwenden und auf
bloßen Füßen davoneilen können, ihm die Kerze als Trophäe überlassend.
Sie
erwählten beide keinen der leichten - und vernünftigen - Auswege.
Stattdessen
tat sie etwas völlig Unerwartetes. Ihre Zähne gruben sich in die weiche
Unterlippe, und im flackernden Licht der Kerze schien es Ferdinand, als wäre
der Glanz in ihren Augen ungeweinten Tränen zuzuschreiben. Ihre Worte
bestätigten diesen Eindruck.
»Ich
wünschte«, sagte sie weich, »Sie wären nach jenem Tag und Abend abgereist. Ich
wünschte, ich hätte niemals Ihren Namen erfahren.«
»Tatsächlich?«
Er vergaß die Gefahr. Er vergaß die Schicklichkeit. Er vergaß sogar, dass sie
in einem unlösbaren Konflikt gefangen waren. Er sah nur sein wunderschönes, vor
Leben sprühendes Mädchen, das einst Gänseblümchen im Haar getragen, aber nun
Tränen in den Augen hatte - wegen ihm. »Warum?«
Sie zögerte
und zuckte dann die Achseln. »Es wäre eine schöne Erinnerung gewesen.«
Ein
vernünftiger Gedanke wäre gewesen, auf ihre Antwort gar nicht weiter
einzugehen. Aber tatsächlich dachte er überhaupt nicht.
»Diese Erinnerung?«
Er senkte den Kopf, berührte ihre Lippen mit seinen
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