Dir darf ich nicht gehören
das Haar von
Hannah zu einem glatten, vornehmen Chignonknoten gestalten. Sie trug keinen
Schmuck, sondern nur eine Stola um die Schultern.
Sie
wusste nicht, ob Lord Ferdinand und der Duke of Tresham zu Hause zu speisen
gedachten. Sie wusste nicht, ob sie angeprangert und aus dem Speiseraum
verwiesen würde, wenn sie dort wären. Aber sie war kein Feigling. Sie würde
sich weder in ihrem Zimmer verstecken, noch würde sie es wortlos hinnehmen,
wenn die beiden Brüder versuchen sollten, sich ihrer Gesellschaft nach dem
Essen zu entledigen. Sie lebte schließlich noch immer unter der Annahme hier,
dass sie hierher gehörte und sie die Eindringlinge waren. Bis jetzt war das
Gegenteil noch nicht bewiesen.
Sie
waren beide im Speiseraum, beide in schwarzer Abendgarderobe mit weißem Leinen,
den Söhnen Satans sehr ähnlich. Als sie eintrat, erhoben und verbeugten sie
sich.
Sie
aßen alle drei zusammen - eine seltsame Farce der Höflichkeit. Beide
Gentlemen waren gewissenhaft höflich, versicherten sich, dass Viola alles
hatte, was sie brauchte, und achteten sorgfältig darauf, kein Thema
anzuschneiden, das sie ausschließen könnte. Unter anderen Umständen hätte sie
das vielleicht genossen. Aber dies waren keine anderen Umstände. Sie war
schändlich allein mit zwei Gentlemen. Einer von ihnen wusste, wer sie war -
oder wer sie gewesen war. Sie konnte unmöglich sagen, ob der andere es auch
wusste. Aber er würde es bald erfahren.
Viola
erinnerte sich später nicht genau, was oder wie viele Gänge zum Abendessen
serviert worden waren. Sie hatte aber den Eindruck gewonnen, dass Mrs Walsh
sich in Ehrerbietung für den anwesenden Duke selbst übertroffen hatte. Die
Mahlzeit zog sich endlos in die Länge. Viola erhob sich, sobald das mit Anstand
möglich war.
»Ich
überlasse Sie nun Ihrem Portwein, Gentlemen«, sagte sie. »Wenn Sie mich
entschuldigen wollen, wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und gehe in mein
Zimmer. Ich habe leichte Kopfschmerzen. Ich hoffe, Ihr Raum gefällt Ihnen und
Sie haben alles, was Sie brauchen, Ihre Gnaden?«
»Ja,
danke, Madam«, versicherte er ihr.
»Miss
Thornhill.« Lord Ferdinand zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus einer
Tasche seiner Abendgarderobe. »Wären Sie so freundlich, dies zu lesen, wenn Sie
Zeit haben?«
Das
Testament? Aber es war nur ein einzelnes Blatt. Das Testament des Earl of
Bamber wäre gewiss ein umfangreiches Dokument.
»Ja.«
Sie nahm es entgegen.
Es war
nicht das Testament, wie sie erkannte, als sie in ihrem Zimmer angekommen war.
Es war auch kein Brief. Es war eine Art Erklärung, mit kühner Handschrift
geschrieben. Sie besagte, dass das Testament des verstorbenen Earl of Bamber,
obwohl es von niemandem kopiert oder durchgesehen werden durfte, der nichts mit
dessen Inhalt zu tun hatte, vom Duke of Tresham in gesamter Länge gelesen
worden sei, da sein Anspruch auf einen Teil seines Inhalts anerkannt wurde. In
dem Schreiben wurde erklärt, dass das Testament zweifelsfrei weder Pinewood
Manor in Somersetshire noch Viola Thornhill besonders erwähnte. Es war in
derselben kühnen Handschrift vom Duke unterzeichnet sowie von George
Westinghouse, Anwalt des verstorbenen Earl of Bamber.
Viola
faltete das Schreiben und hielt es lange Zeit auf dem Schoß, den Blick ins
Leere gerichtet. Er hätte seine Meinung nicht einfach geändert. Und er hätte
die Angelegenheit nicht verzögert. Er hatte gewusst, wie schlecht es um seine
Gesundheit stand. Er hatte nicht erwartet, noch länger als einen oder zwei
Monate zu leben. Er hätte es nicht vergessen.
Sie
würde das Vertrauen in ihn nicht verlieren.
Das
Testament musste ohne sein Wissen geändert worden sein. Aber sie hatte
natürlich keinerlei Möglichkeit, das zu beweisen. Und daher hatte sie Pinewood
verloren. Wie traurig er wäre, wenn er das wüsste! Sie war in diesem Moment
seinetwegen ebenso bekümmert wie ihretwegen - es lähmte sie geradezu. Er
hatte geglaubt, sie sei ihr restliches Leben sicher und geschützt. Er war
heiter, sogar glücklich gewesen, als er sich für immer von ihr verabschiedet
hatte - sie hatten beide gewusst, dass es für immer war.
Eine
Träne löste sich von Violas Wange und benetzte den Stoff ihres Rockes.
Der Duke of Tresham
blieb nur bis zum frühen Nachmittag des darauf folgenden Tages. Er
interessierte sich für das Haus und den Park und den zum Gutshaus gehörenden
Gutshof und Ferdinand zeigte ihm all das am Vormittag. Aber dann zog es ihn
wieder nach London und zu seiner
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