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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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Abneigung und Argwohn. »Schneiden Fleisch von den Leichen am Straßenrand und kochen es für unsere Suppe oder kaufen auf dem Schwarzmarkt Hackbraten aus Menschenfleisch?«
    Elias, der von solchen Praktiken noch nie gehört hatte, fing an zu zittern. »Entsch-schuldigen Sie. Ich gehe wieder.«
    »Ja, gehen Sie! Und lassen Sie mich und meinen Mannin Ruhe! Eine feine Art, sich für unsere Hilfe zu bedanken, besonders nachdem Herr Schapran uns alle vor der Brandbombe gerettet hat!« Sie knallte die Tür zu, und Elias fiel halb gegen die Wand.
    »Pssst!«, hörte er plötzlich, es kam von oben. »Pssst!«
    Benommen blickte er hoch. Es war Waleri Bobrowski, der ihn durch die Stäbe des Geländers hindurch ansah. Seine Haare standen ab wie Federn, und sein Jungengesicht war ausgemergelt, doch seine Augen funkelten wie früher. »Ich verrat Ihnen was«, zischte er. »Die essen Ratten.«
    »Wer isst Ratten?«
    »Der Schapran und seine Alte. Fangen sie nachts in der Seitengasse. Mäuse auch. Ich tu sie beobachten.«
    »Ich beobachte sie«, verbesserte Elias automatisch.
    »Sie auch?« Waleri nickte. »Dann wissen Sie ja, wovon sie überleben. Frau Schapran macht Suppe draus. Wahrscheinlich sollen Sie nicht wissen, dass sie Schändlinge essen, was?«
    »Schädlinge«, sagte Elias und ging langsam die Treppe hinauf.
    »Und letzte Woche hab ich gesehen, wie Herr Schapran den roten Kater erdrosselt hat, der hier immer rumlungerte«, sagte Waleri. »Der gemeine alte Dreckskerl!« Er zog den Kopf zwischen den Geländerstäben heraus und staubte sich die Knie ab. »Ich geh mal besser wieder rein. Ich soll im Moment nicht draußen sein, ohne Bescheid zu sagen. Hoffe, Ihrer Mutter geht’s gut.«
    Als Elias wieder in seiner Wohnung war, taumelte er zum Schlafzimmer. Dort war es so kalt, dass er zurückschreckte: Sie lebten seit Wochen nur noch im Wohnzimmer. Unter einem Stapel Kartons fand er ein kleines Glas, das noch fast voll war. Er benutzte selten Haaröl, nur bei Konzerten und anderen besonderen Anlässen; zum letzten Mal bei Sollertinskis Abschiedsfest, und das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Langsam ging er im Halbdunkel zur Küche, kochte Wasser und rührte zwei Löffel Haaröl hinein. Nachdem er noch eine Prise Salz hinzugefügt hatte, nippte er daran. Es war nicht so schlecht, wie er befürchtet hatte.
    »Ist das Wurstsuppe?«, fragte seine Mutter. »Iss nicht alles allein auf!«
    Nachdem er ihr ein paar Löffel davon gegeben hatte, nickte sie bedächtig. »Viel besser. Siehst du, wie viel besser der Geschmack wird, wenn man das Fleisch zuerst hineingibt?«
Entschlüsse
    Nikolai wusste, dass er seine ganze Brotration aufessen würde, sobald er die Bäckerei verlassen hatte. An diesem Tag erschien es ihm unmöglich, zu warten, bis er zu Hause war: sie in drei dünne Scheiben zu schneiden, damit sie für die nächsten vierundzwanzig Stunden vorhielt. Er steckte Tanjas Anteil tief in seine Tasche und trat in einen Hauseingang. In letzter Zeit hatte es zu viele brutale Überfälle gegeben, es war gefährlich, vor den Augen anderer zu essen oder sich längere Zeit an öffentlichen Plätzen aufzuhalten.
    Er biss ein Stück von dem Brot ab und stopfte sich dann die ganze Kruste in den Mund. Es schmeckte schimmelig; das Korn, aus dem das städtische Brot neuerdings gebacken wurde, kam aus dem See, man hatte es aus den gesunkenen Vorratsschiffen geborgen, die von deutschen Bombern getroffen worden waren. Doch das Gefühl, den Mund voll zu haben, war Kompensation genug für den schlechten Geschmack. Er kaute gründlich, atmete dabei durch die Nase und trat von einem Bein aufs andere, um sich warm zu halten. Der Wind war eisig, die Mauer feucht. Er schluckte den letzten Krümel hinunter. Es hatte zwei Minuten gedauert, die Essensration für einen ganzen Tag zu vertilgen.
    Er schlug seinen Kragen hoch, zog die Mütze tiefer ins Gesicht und tauchte wieder in den treibenden Schneeregen ein. Der Schnee unter seinen Füßen war so schwer, dass ihn jeder Schritt große Anstrengung kostete. In den letzten Wochen hatte er deutlich gemerkt, wie er immer weniger wurde, sodass sogar seine Füße, die in mehreren Sockenschichten steckten und mit Lappen umwickelt waren, in seinen Stiefeln hin und her rutschten. Wenn er sich im Bett zusammenrollte, schabten seine Knie gegeneinander, und seine Hüftknochen stachen trotz zwei Paar Hosen so stark heraus, dass er nie bequem und ohne Schmerzen liegen konnte.
    Schostakowitsch hatte ihm geschrieben

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