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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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entfaltet. Ich kann einfach nicht mehr sagen, ob sie auch nur das Geringste wert ist.«
    »Der allgemeinen Reaktion neulich Abend nach zu urteilen,kannst du in dieser Hinsicht ganz beruhigt sein, denke ich.«
    »Aber genau das ist das Problem – es war eine allgemeine Reaktion! Ein Beifallschor! Und du weißt, was Meyerhold darüber gesagt hat.«
    »Nein«, antwortete Nina, »ich habe keine Ahnung, was Meyerhold gesagt hat.«
    »Dass man ein Werk als totalen Fehlschlag betrachten muss, wenn es allen gefällt.« Er sackte auf seinem Stuhl zusammen. Er hörte die Stimme des Dramatikers so deutlich, als wäre er bei ihnen im Zimmer, obwohl der arme Meyerhold schon seit drei Jahren von der Bildfläche verschwunden war, aus dem Verkehr, weil sein Werk jenen »allen«, auf die es ankam, nicht gefallen hatte.
    »Die Leute, die dein Werk mochten, waren nicht gerade ungebildet«, sagte Nina. »Es waren ein paar der feinsinnigsten Musiker der Stadt darunter. Hast du Nikolais Reaktion nicht gesehen? Selbst mitten in seinem Kummer hat ihn das, was er da gehört hat, aufgebaut.«
    Schostakowitsch schüttelte den Kopf. »Nikolai ist ein bewundernswerter Musiker. Er hat großes Talent, als Geiger ebenso wie als Lehrer. Aber er verwendet zu viel Energie darauf, es anderen recht zu machen.«
    »Ist das so ein großer Fehler?«, fragte Nina leicht provozierend.
    Doch er war in Gedanken schon zu Elias’ Besuch zurückgekehrt – war das wirklich erst wenige Wochen her? Es fühlte sich wie ein ganzes Leben an. Eine merkwürdige Spannung umgab den Mann, eine Mischung aus Reserve und Entschlossenheit. Selbst während Schostakowitsch mit dem Rücken zum Raum durch seinen Marsch donnerte, hatte er gewusst, wie Elias dasaß: straffe Muskeln, angespannte Nerven, aktiviertes Urteilsvermögen. Was war geschehen, nachdem Schostakowitsch geendet hatte? Er konnte sich an die anschließende Diskussion kaum erinnern, so aufgeputscht war er gewesen – vom Vorspielenebenso wie von der Notwendigkeit, sich für die Arbeit am nächsten Satz zu stählen. Dennoch, es war etwas unbedingt Vertrauenswürdiges an Elias. Er war gewiss ein Sonderling und extrem unbeholfen dazu. (Diese Nachricht unter der Tür! Noch jetzt musste Schostakowitsch lächeln, wenn er daran dachte.) Doch er strahlte eine Ernsthaftigkeit aus, mit der Schostakowitsch sich gut identifizieren konnte. Wenn einem etwas nicht gefiel, hatte man die Pflicht, es zu sagen, ob es nun Ärger erregte oder nicht.
    »Ich muss mit dem Dirigenten sprechen«, wiederholte er. »Er ist der Zuhörer, den ich brauche.«
    »Wer weiß, ob er überhaupt ein Telefon hatte, bevor das ganze Chaos anfing?«, sagte Nina. »Und selbst wenn wir seine Nummer herausfinden würden und du ihn erreichen könntest – es ist viel zu spät zum Telefonieren.« Sie kam zu ihm und strich ihm über das Haar. »Willst du nicht lieber versuchen zu schlafen? Du kannst doch morgen zu ihm ins Rundfunkhaus gehen.«
    Schostakowitsch sprang auf, als scheute er vor Höflichkeit und gesundem Menschenverstand zurück. »Nein, ich muss jetzt mit ihm sprechen. Nicht morgen.«
    Er ging wieder in sein Arbeitszimmer und tigerte dort herum. Keine Musik im Kopf und keine Hilfe bei der Hand! Es war unerträglich. Er zog an einer drittklassigen Zigarette, bitterer Machorka-Tabak mit Spuren von Nikotin darin, in oblatendünnes Zeitungspapier gerollt. Wie sollte er die endlosen Stunden bis zum Morgen hinter sich bringen?
    »Dmitri?« Nina klopfte an die Tür. »Da ist jemand für dich am Telefon.«
    Er wusste nicht, ob er erleichtert sein oder sich ärgern sollte. »Hast du ihm nicht gesagt, es sei viel zu spät?« Trotzdem drückte er seine übel schmeckende Zigarette aus und ging mit plötzlich aufkeimender Hoffnung ins Wohnzimmer. »Ist es Sollertinski?«
    Nina schüttelte den Kopf mit einer Miene, die Sorgeund noch etwas anderes ausdrückte, das er nicht deuten konnte. Argwöhnisch nahm er den Hörer auf. »Hier ist Dmitri Schostakowitsch. Mit wem spreche ich, bitte?«
    »Genosse Kalinnikow.« Die Stimme war tönern, scharf und unmissverständlich autoritär. »Vom Leningrader Parteikomitee.«
    Jetzt wurde ihm klar, dass es Hoffnung war, die er in Ninas Gesicht gesehen hatte, und Unsicherheit, wie er reagieren würde.
    Sein Gespräch mit Kalinnikow war kurz und ziemlich einseitig. Er antwortete mit knappen, emotionslosen Phrasen, wie es von ihm erwartet wurde. »Ja, ich verstehe. Ja, ich bin bereit.« Nach ein paar Minuten fragte er: »Und

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