Dirigent
Tasche. »Ich muss sofort zu ihm.Weiß Gott, wie wir uns bei all dem Gedränge im Stadion treffen sollen.«
»Stadion?« Sonja, die verstohlen seinen kalten Kaffee geschlürft hatte, stellte scheppernd die Tasse ab. »Du gehst zum Fußball? Mit Herrn Schostakowitsch? Oh, kann ich nicht mitkommen?«
»Fußball ist nichts für Kinder«, sagte Tanja, die mit dem Pfannenwender in der Hand dastand. »Schon gar nicht für solche Rabauken, die unanständige Wörter in der Nachbarschaft herumposaunen.«
»Ach, halt du dich doch da raus!«, sagte Sonja.
»Sonja!«, sagte Nikolai scharf.
Sonja stürmte in ihr Zimmer und knallte die Tür so heftig, dass die Tasse vom Tisch aufs Sofa fiel und der Rest Kaffee sich über das Polster ergoss.
»Verdammt!« Tanja runzelte die Stirn. »Entschuldige bitte. Ich weiß nicht, was heute in mich gefahren ist.«
»Der Mittsommerwahn?«, sagte Nikolai und ging in die Küche, um einen Lappen zu holen.
»Ich mach das schon«, sagte Tanja. »Kümmere du dich lieber darum, dass Herr Schostakowitsch an seine Tickets und Sonja wieder aus ihrem Zimmer kommt.«
»Ich weiß nicht, was von beidem schwieriger ist«, sagte Nikolai verzagt.
Schostakowitsch wartete, mit den Fingern trommelnd, auf Nikolais Anruf. Er hätte natürlich selbst zum Hörer greifen können, doch es gab Dinge, die ein Mann besser nicht tat, jedenfalls nicht am Tag, nachdem seine Frau vom Markt zurückgekommen war, nur um festzustellen, dass das Waschbecken überlief, Kissen auf dem Boden verstreut lagen, zwei Kinder wild herumtobten und der Ehemann, der angeblich krank war und auf sie hätte aufpassen sollen, nirgends ins Sicht war. Ihn schauderte, als er daran dachte. Verschwitzt und mit leeren Händen war er die Treppe hochgerannt (der verdammte Nikolai, ein Gedächtniswie ein Sieb; der verdammte Rundfunkdirigent mit seinen losen Partiturblättern; die verdammten Leningrader Straßenbahnen und ihre unfehlbare Unpünktlichkeit). Schon im Flur hatte er Nina mit harscher Stimme Befehle erteilen hören – Galina, hol den Wischlappen! Maxim, heb die Kissen auf! – und dann in noch schärferem Ton: Wo genau ist euer Vater hingegangen?
Er hatte zaudernd im Treppenhaus gestanden und sich Ninas Rückkehr nur allzu gut ausmalen können: den Moment, als sie die Schlafzimmertür aufriss, und dann ihren fassungslosen Gesichtsausdruck, als sie das leere Bett und den unangerührten Löwenzahntee sah.
»Und?«, hatte sie die Kinder noch einmal gefragt. »Hat euer Vater gesagt, wohin er wollte?«
»Ihr wisst es nicht«, murmelte Schostakowitsch und spähte durchs Schlüsselloch. »Denkt dran, was ich euch gesagt habe.«
»Papa wollte ... zum Rundfunkhaus«, stammelte Galina.
Verflucht noch eins! Schostakowitsch schlug mit der flachen Hand an die Wand. Warum waren seine Kinder nicht mal zu einer winzigen Notlüge imstande, wenigstens um des häuslichen Friedens willen?
» Im Ernst? «, hatte Nina eisig gesagt. »Und wisst ihr auch, was er da wollte?«
Eine Zeitlang blieb es still, weil Galina wohl gemerkt hatte, dass sie mit ihrem kleinen Lackschuh ins Fettnäpfchen getreten war. »Nein.« Er hätte wetten können, dass sie den Kopf schüttelte. Nein, sie wusste nicht, warum Papa es so eilig gehabt hatte, zum Rundfunkhaus aufzubrechen, wo er doch krank war und sich ausruhen sollte.
»Maxim!« Die Schärfe in Ninas Stimme nahm noch zu. »Warum hat euer Vater euch allein gelassen, sodass ihr das Badezimmer unter Wasser setzen und das Wohnzimmer auf den Kopf stellen konntet?«
»Fuß!«, piepste Maxim; es klang ängstlich. (Was vollkommenverständlich war: Schostakowitsch hatte selbst schweißnasse Hände.) »Fuß-Fuß –«
»Fußball? Wollte er Fußballtickets abholen?«
Schostakowitsch hatte noch nie einen Vulkan ausbrechen sehen, aber das Bild schien ihm in diesem Moment sehr passend: ein Zittern und Beben, gewaltige, in einem fort hervorquellende Lava- und Ascheströme. Trübsinnig machte er sich klar, dass jetzt einige Zeit lang eine dunkle Wolke über der häuslichen Landschaft hängen würde.
»Genau!« Galina und Maxim sprachen im Chor. »Fußball!«
Es hatte ihn all seinen Mut gekostet, die Wohnung zu betreten, die Hände mit den Handflächen nach oben vorstreckend, als mindere es seine Schuld, dass er ohne Tickets zurückkam. Wehe, es war kein gutes Spiel, dachte er jetzt, während er auf das stumme Telefon starrte. Ein verdammt gutes Spiel würde es sein müssen, um die Unannehmlichkeiten des vergangenen Abends
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