Dirigent
dem Gewühl auf. Nina Schostakowitsch küsste sie auf beide Wangen und wandte sich dann Elias zu. »Darf ich Ihnen Nina Bronnikowa vorstellen, Tänzerin im Kirow-Ballett. Dies ist Herr Eliasberg, er leitet unser Rundfunkorchester. Aber vielleicht kennen Sie sich schon?«
»Ich glaube nicht.« Nina Bronnikowas schwarzes Haar glänzte im späten Sonnenlicht. Mit einer Geschmeidigkeit, die Elias an einen Fisch erinnerte, trat sie beiseite, um einem Händler Platz zu machen. Aal! Abendessen! Mutter! Einkaufen! In seinem Kopf ging alles drunter und drüber. Ein Engel auf dem Heumarkt! Was sagte man, wenn man einem wunderschönen Engel im schwarzen Schal vorgestellt wurde? Aber der Moment, etwas zu sagen, war ohnehin längst verstrichen.
»Wir sprachen gerade über meinen Mann«, sagte Nina Schostakowitsch. »Herr Eliasberg meint, er sei ein Genie.«
»Die meisten Russen würden ihm zustimmen.« Nina Bronnikowa lächelte. Sie hatte eine kleine Narbe über dem Mund, parallel zu den Lippen.
»Die meisten Russen müssen auch keinen Tee für ein Genie kochen, der Schnupfen hat. Noch einem Genie erklären, warum er an vier Abenden hintereinander Dorsch essen muss. Noch ihn davon abhalten, morgen zu einem Fußballspiel zu gehen, bei dem er sich heiser schreien wird.«
Elias fand, dass es an der Zeit war, etwas zu sagen. »Aber ja, natürlich! Fußball!« Es hatte souverän klingen sollen, doch seine Stimme kam eher als ein Krächzen heraus.
Nina Schostakowitsch und Nina Bronnikowa wandten sich ihm – wunderbar synchron – zu. »Sind Sie Fußballfan?«
Elias räusperte sich. »Das Wort ›Fan‹ wäre vielleicht etwas übertrieben. Aber ich interessiere mich durchaus dafür. Das Spiel morgen verspricht sehr gut zu werden.«
»Sind Sie für Zenit wie fast alle Männer?« Nina Bronnikowas Gesichtsausdruck war nicht erkennbar, weil die Sonne hinter ihr loderte.
»Allerdings! Ich versäume kein Heimspiel, sofern es mein Arbeitspensum zulässt.«
»Tatsächlich?« Ihre Stimme kam kühl und unmittelbar aus dem Herzen des feuerroten Lichts.
»Lokomotive Moskau hat keine Chance.« Ein neues Selbstvertrauen durchflutete ihn. »Dementijew ist der Mann, den man jetzt im Blick behalten muss.«
Nina Bronnikowa zog sich den Schal enger um die Schultern. »Wie traurig! Jetzt ist es endgültig erwiesen. Wenn es um den brutalen Fußballsport geht, bleibt Iwan Sollertinski der einzige Mann auf der Welt, der seine Sinne beisammen hat.«
Nina Schostakowitsch lachte. »Und das, obwohl Dmitri einen beträchtlichen Teil seiner Jugend darauf verschwendet hat, Iwan davon zu überzeugen, dass Fußball eine Kunst ist.«
Elias errötete. »Ich fürchte, ich muss jetzt gehen, sonst gibt es heute Abend nichts zu essen.« Doch als er einen Schritt zurücktrat, stieß er gegen den Stand hinter sich, streckte die Hand aus, um sich irgendwo abzustützen, und spürte, wie sie in einer gummiartigen Masse billigem Kaviar versank. »Ach, verdammt«, sagte er zum zweiten Mal an diesem Nachmittag. »Also, auf Wiedersehen! Bitte fühlen Sie sich nicht verpflichtet, mir die Hand zu schütteln.« Er versuchte zu lachen. »Sie haben vielleicht schon gehört, dass ich manchmal ein kalter Fisch bin.«
Die beiden Ninas schüttelten ihm trotzdem höflich die Hand, bevor sie gemeinsam davongingen. Nina Schostakowitschs Füße zeigten exakt geradeaus, als suchten sie den direktesten Weg nach Hause zu ihrem Mann, und Nina Bronnikowa drehte die Fußspitzen nach außen und legte den schimmernden Kopf etwas schräg, um zu hören, was ihre Freundin sagte. Auch Elias versuchte über die Schreie der Fischverkäufer hinweg etwas zu verstehen. »Nikolai Nikolajew?«, drang es leise an sein Ohr. »Ja, ein wundervoller Mann. Tragisch verwitwet. Ganz seiner Tochter ergeben.« Es klang wie eine Empfehlung für eine Arbeitsstelle – oder wie eine Grabinschrift.
Er wischte sich die Hände an einem Stück altem Sackleinen ab. »Hier ruht Nikolai, ein Mann, der ganz seiner Tochter ergeben war«, rezitierte er. »Hier ruht Schostakowitsch, der ganz der Arbeit, dem Ruhm und dem Fußball ergeben war. Hier ruht Eliasberg –« Er kratzte sich ein Fischei unter einem Fingernagel heraus. »Hier liegt Karl Elias –« Aber er konnte seine eigene Grabinschrift nicht vollenden. Wem oder was war er ganz ergeben?
»Kaufen Sie jetzt was davon, wo Sie schon Ihre dreckigen Hände reingesteckt haben?« Der Händler stand mit verschränkten Armen hinter der Kiste Kaviar.
»Warum nicht«,
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