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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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In letzter Zeit schien sie einen Weg gefunden zu haben, sich schwerer zu machen, sodass Elias schließlich die Zähne zusammenbiss und Frau Schapran um Hilfe bat. »Dumusst dich auch anstrengen, Mutter«, sagte er zu ihr. »Ja, es ist auch anstrengend«, antwortete sie dann, klobig auf ihrem Stuhl hockend.
    Als er nun um Hilfe rufen wollte, konnte er kaum den schmerzenden Kiefer öffnen. Also rannte er auf den Hausflur, wo er Bobrowskis Sohn traf, der gerade aus der gegenüberliegenden Tür kam.
    »Meine ... Mutter«, krächzte Elias. »Ich kann sie ... alleine ... nicht tragen.«
    »Ich helfe Ihnen. Aber wir müssen uns beeilen!« Waleris blaue Augen waren kugelrund vor Angst.
    Indem sie den Stuhl gefährlich weit nach hinten kippten, schafften sie es mit Mühe und Not, Frau Eliasberg auf jedem Treppenabsatz um die Ecke zu bugsieren. Nach zwei Stockwerken begann sie zu schimpfen und derart mit den Armen zu fuchteln, dass Elias beinahe einen Schlag auf seine schon lädierte Wange abbekommen hätte.
    »Was hat sie denn?« Waleris dickliches Gesicht war rot angelaufen.
    »Ich habe meinen Schal vergessen!« Frau Eliasberg hielt sich am Geländer fest.
    »Wir können ... nicht ... zurück.« Elias’ Schultern brannten, aber er war fast froh darüber, weil es ihn von dem Schmerz in seinem Kopf ablenkte.
    »Im Keller gibt es Decken, Frau Eliasberg. Wir können nicht zurückgehen.« Waleri stolperte und ließ beinahe seine Seite des Stuhls los. »Hoppla.«
    Unter ihnen tauchte Olga Schaprans Gesicht auf, vom schwachen Schein einer Lampe erhellt. »Schnell! Wir wollen die Tür schließen! Beeilt euch!«
    »Ist ja gut, wir kommen schon. Versuchen Sie mal, sich zu beeilen, wenn Sie einen alten Drachen in einem Badestuhl die Treppe runterschleppen.« Waleri sah aus, als würde er gleich anfangen zu heulen.
    »Ich muss noch mal zurück!«, jammerte Frau Eliasberg. »Ich habe meinen Glücksschal oben vergessen, und dasPorträt von meinem Mann ist nicht am richtigen Ort. Wenn es nicht im Schrein ist, sind wir verloren!«
    Gerade noch rechtzeitig konnte Elias sie packen. Er drückte sie wieder in den Stuhl und wickelte ihr den Mantel fest um die Beine. »Bist du jetzt ruhig, Mutter«, zischte er, »und lässt uns dich in den Keller tragen, sonst sind wir gleich alle so tot wie Vater.«
    Nachdem sie die Tür fest verriegelt hatten, saßen sie dicht zusammengedrängt mit dem Rücken an der Wand im Dunkeln. Die Bomben schienen ganz in der Nähe einzuschlagen. Elias spürte, wie das Flakfeuer in seinem Körper vibrierte, das Kreischen der Bomben klang beinahe menschlich. Das ganze Gebäude bebte, und selbst Frau Eliasberg hörte auf zu jammern und wurde still.
    Elias ballte die Hände zu Fäusten. Sein Schmerz verband sich mit dem Getöse draußen, und bald wurde das alles derart unerträglich, dass ihm war, als wäre er gar nicht in seinem Körper. Denk an die Sinfonie , befahl er sich selbst. Denk daran, wie du in Schostakowitschs Arbeitszimmer warst. Er versuchte, sich an das Gesicht des Komponisten zu erinnern: das Zucken um seinen Mund, wenn er eine schwierige Passage spielte, das Hochziehen der Augenbrauen, mit dem er eine ansteigende Melodie begleitete. Elias öffnete die linke Hand und spielte das erste Thema auf seinem Knie. War der Wechsel in die Haupttonart so früh erfolgt? Nach und nach wichen die Geräusche um ihn herum zurück, er lehnte den Kopf an die zitternde Wand und schloss, ganz auf die Musik konzentriert, die Augen.
    Er hatte die Durchführung zur Hälfte rekonstruiert, als es einen gewaltigen Knall gab und Frau Bobrowski einen schrillen Schrei ausstieß. Der Keller bebte. Elias riss die Augen auf, doch es war stockdunkel, und er konnte nicht das Geringste sehen. Gips regnete auf seinen Kopf.
    »Nun sind wir also doch noch getroffen worden«, sagte Herr Schapran. Es klang erstaunt, so als wären die Angriffe für ihn bislang nur lästige Übungen gewesen.
    »Irgendwer muss doch was tun!«, rief Olga Schapran.
    Elias kramte eine Streichholzschachtel hervor. Die entsetzten Gesichter seiner Nachbarn leuchteten hell auf und verblassten wieder.
    »Ich gehe rauf«, verkündete er.
    »Nein!«, schrie seine Mutter. »Bist du verrückt?«
    »Es ist ja vorbei«, sagte er. »Ich muss wissen, was passiert ist.«
    Vorsichtig entriegelte er die Tür, sodass ein Streifen Licht hereinfiel, und spähte die Treppe hinauf. Dann nahm er seinen Schal ab und wickelte ihn um den Kopf.
    »Zum Schutz vor Granatsplittern.« Olga klang

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