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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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beeindruckt.
    »Bei Brandbomben gibt es keine Granatsplitter«, sagte ihr Mann. Er stand auf und drängelte sich an Elias vorbei. Auf keinen Fall würde er sich von einem mageren Dirigenten in Pantoffeln übertrumpfen lassen.
    Das Krachen und Heulen der Bomben war jetzt weiter entfernt. Herr Schapran probierte den Schalter im Treppenhaus, doch vergebens. »Kein Strom«, sagte er. Durch die zugenagelten Fenster im Eingangsflur drang schwaches Licht, kaum genug, um etwas zu erkennen, aber für Elias’ pulsierendes rechtes Auge war es immer noch zu hell. Er tastete sich die Treppe hinauf. Als er im zweiten Stock angekommen war, hörte er hinter sich ein Geräusch, drehte sich erschrocken um und schob sich den Schal aus der Stirn.
    »Ich bin’s nur«, hörte er Waleri sagen. »Ich möchte helfen.«
    »Geh wieder in den Keller«, befahl Herr Schapran. »Wenn es eine Brandbombe war, wird ein Feuer ausbrechen. Ein Zwölfjähriger hat dabei nichts zu suchen.«
    »Er kann mitkommen, wenn er will«, sagte Elias. »An der Front kämpfen Jungs für uns, die nicht viel älter sind als er.« Und an Waleri gewandt: »Halt dich hinter mir und sei vorsichtig.«
    Daraufhin blieb Waleri ihm so dicht auf den Fersen, dass er ihm in die Hacken trat. »Hoppla«, sagte er wie zuvor und schob Elias den rissigen Lederpantoffel wieder über die Ferse.
    Im dritten Stockwerk blieben sie vor der Tür der Eliasbergs stehen. Drinnen war ein leises Geräusch zu hören. Nun war es an Elias, sich vorzudrängeln. »Das ist meine Wohnung! Gehen Sie aus dem Weg, verdammt!«
    »Kein Grund zu fluchen«, sagte Herr Schapran in seinem Hauswärterton.
    Das große Zimmer war unverändert: Orchesterpartituren auf dem Tisch, Geschirr im Ständer, Emailletöpfe an ihren Haken über der Spüle. Doch an der gegenüberliegenden Wand flackerte ein neues, unheimliches Licht.
    »Es kommt aus dem Zimmer der alten Dame!« Waleri stürmte los und blieb vor der Tür wie angewurzelt stehen. »Heiliger Strohsack!«
    »Bleib zurück!« Elias fasste ihn an der Schulter. Frau Eliasbergs Bett brannte lichterloh. Eine Flammensäule stieg von ihrer geliebten Steppdecke auf und züngelte zu dem klaffenden Loch in der Decke empor. Ohne zweimal zu überlegen, packte Elias ein Ende der Matratze und versuchte, sie in der Mitte umzuklappen. Die Hitze war enorm, und er duckte sich weg. »Helfen Sie mir doch!«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne.
    Herr Schapran ergriff das andere Ende, und gemeinsam trugen sie die brennende Matratze zum Fenster, wuchteten sie über das Sims und sahen sie in den Hof hinabsausen, wo schon mehrere kleine Magnesiumleuchtfeuer loderten. Wie sie da mit den feuerrot hinter ihr her wehenden Laken durch den dunstigen Morgen segelte, sah sie aus wie ein seltsamer wunderschöner Vogel.
    »Wie ein Phönix«, keuchte Waleri.
    Elias wollte ihm erklären, dass ein Phönix sich aus der Asche erhob, anstatt welche zu erzeugen, doch es gab Wichtigeres zu tun. Er stolperte durch das angesengteSchlafzimmer, trat unterwegs vereinzelte Funken aus, und holte eine Flasche aus dem Schrank unter der Spüle.
    »Wodka?« Herr Schapran klang erfreut. »Aber sollten wir nicht erst die Feuer im Hof löschen, bevor wir mit dem Trinken anfangen?«
    »Ich ... trink’s ... nicht. Zahnschmerzen.« Elias tränkte das Spültuch mit dem Alkohol und stopfte es sich in den Mund. Benommen vor Schmerz und auf weiteren gefasst (seine Mutter liebte ihre Steppdecke wie das Leben selbst), sah er sich plötzlich im Spiegel: Das mit Ruß bedeckte Gesicht, der vom Schal umhüllte Kopf, die entblößten, auf das Tuch beißenden Zähne – er sah kaum wie ein professioneller Dirigent, sondern eher wie einer der Seeleute der Baltischen Flotte aus, die Leningrads Kneipen frequentierten. Gott sei Dank, dass Nina Bronnikowa mich jetzt nicht sehen kann , war sein erster Gedanke.
    Waleri starrte ihn voll unverhohlener Bewunderung an. »Das war ja toll! Sie waren einfach toll. Woher wussten Sie so schnell, was zu tun war?«
    Elias hatte keine Ahnung, warum er die relative Sicherheit des Kellers aufgegeben hatte – außer vielleicht, um Olga Schaprans Stimme zu entkommen. Von den ungewohnten Alkoholdämpfen wurde ihm schwindelig, und seine Knie verwandelten sich in Pudding. »Weiß nicht«, murmelte er.
    »Und wie Sie Ihrer Mutter gesagt haben, sie soll den Mund halten – und sie hat Ihnen gehorcht!« Es war eindeutig Heldenverehrung, was in Waleris Gesicht aufschien. »Gestern habe ich nur einen

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