Dirty Talk

Skiliftpässe an den teuren Jacken baumeln hatten. Die Einrichtung sollte sich wohl am Zen orientieren, es gab ein paar Zimmerspringbrunnen, die dezent plätscherten, und riesige Steine, Orchideen und jede Menge Farne. Einen Schieferfußboden und viel dunkles, poliertes Holz.
    Harry betrachtete die Speisekarte. „Sie machen hier frische Omeletts ganz nach deinen Wünschen, die kann ich empfehlen. Wie wär’s für den Anfang mit Sekt plus Orangensaft?“
    Nachdem wir bestellt hatten und auf unser Essen warteten, kam Harry direkt zur Sache. „Du warst ein sehr böses Mädchen, Jo. Du hast alle Rekorde gebrochen, so böse warst du. Wie war dein Thanksgiving?“
    „Gut, wenn man davon absieht, dass Ivan aufgetaucht ist. Was du vermutlich längst weißt.“
    „Dieser Junge hat wirklich ein Talent dafür, Unfrieden zu stiften.“ Er nippte an seinem Sekt. „Er hat mir erzählt, dein irischer Untermieter sei ziemlich ausfallend geworden.“
    „Er ist kein … ach, ist ja auch egal.“
    „Du hast offensichtlich keine Zeit damit verschwendet, mal unser Handbuch zu lesen.“
    Da mein Handbuch – der große, bedrohlich wirkende Ordner – sich noch immer in meinem Spind befand, zuckte ich bloß mit den Schultern. „Ich verlasse die Gesellschaft, Harry.“
    „Du musst erst die komplette Prozedur durchlaufen. Anderenfalls wird man von dir ein saftiges“, er zwinkerte mir zu, „Bußgeld verlangen. Was du wissen solltest.“
    Ich blieb ruhig und widmete mich dem Obstsalat, den ich bestellt hatte.
    Harry goss Sirup über seine Waffeln. „Wenn du jetzt die Gesellschaft verlässt, wäre das keine gute Idee, Jo. Aber wenn du unbedingt willst … nun, dann kündige schriftlich. Dazu steht alles im Handbuch. Es tut mir leid, wenn wir dich verlieren. Aber das passiert. Paare trennen sich oder kommen zusammen, manche wollen nur noch einen Partner haben. Aber es ist eigentlich ungewöhnlich, schon zu gehen, während man noch im Großen Saal ist. Wenn ich ehrlich bin, empfehlen wir es nicht. Und dann war da ja noch diese, ähm, unglückliche Episode mit Jake.“
    „Ich bin mit niemandem zusammen.“
    „Nicht? Wenn ich Ivan richtig verstanden habe, gab es eine Menge heißer Blicke zwischen dir und diesem Patrick.“ Er schaufelte sich Waffeln in den Mund. „Jake ist deshalb ziemlich angepisst.“
    „Ich bin von ihm auch ziemlich angepisst.“
    „Nun, auf jeden Fall möchte die Gesellschaft sich vielmals für all die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die dir unter Umständen widerfahren sind. Und wenn man’s genau nimmt“, fuhr er fort und warf einen weißen Umschlag auf den Tisch zwischen uns, „bist du doch ein sehr glückliches Mädchen.“
    „Was meinst du damit?“ Ich öffnete den Brief.
    „Eine Beförderung“, sagte er und grinste breit. „Du darfst ab sofort ins obere Stockwerk, meine Liebe.“
    „Du bist echt ein Arschloch“, erwiderte ich bloß. Ich las, dass ich von nun an Gäste zu den Nächten mitbringen durfte, in denen Gäste erlaubt waren. Ich durfte den Pool benutzen, den Umkleideraum, das Fitnessstudio, den Golfplatz und den Wellnessbereich. Und vermutlich durfte ich jetzt – auch wenn das nicht explizit erwähnt wurde – aus den Reihen der jungen, heißen Körper im Großen Saal frei wählen. Es gab eine Hochglanzbroschüre mit Bildern der Anlage, eine fast pornografisch wirkende Nahaufnahme von einer Vorspeisenplatte mit fast undefinierbaren Speisen, die von einer Orchidee geziert wurde, sowie ein Foto von einem Golfplatz.
    „Meinen Glückwunsch.“ Harry legte das Besteck aus der Hand und betupfte seinen Mund mit der Serviette. Er wirkte ziemlich mit sich zufrieden. Beinahe väterlich, als habe ich das alles allein ihm zu verdanken. „Und was denkst du jetzt? Ach, übrigens. Heute Abend ist wieder so ein offener Abend. Warum kommst du nicht zusammen mit deinem neuen Macker?“
    „Ach, na klar.“ Ich konnte es förmlich vor mir sehen, wie verächtlich Patrick auf das Treiben im Großen Saal reagierte. Ich hatte mich bis zu diesem Moment nicht geschämt. Ich wollte aber, dass Patrick nur Gutes über mich dachte. Ich wollte …
    „Nein, ich meine natürlich oben. Bring ihn heute Abend zum Dinner mit. Ihr könnt über Nacht bleiben, wenn ihr wollt. Ich empfehle euch sogar, zu bleiben. Das wird bestimmt klasse. Ich weiß, du hast bisher keine allzu guten Erfahrungen mit uns gemacht, und ich will dir zeigen, was du bisher verpasst hast. Leckeres Essen, gute Gespräche und eine wunderbare Zeit