Dirty Talk
Arbeitsfläche der winzigen Küchenzeile lag eine von Patricks Visitenkarten mit seiner Postfachadresse, die er für Geschäftspost nutzte, und seiner Handynummer.
Ich drehte die Karte um, weil ich hoffte, er habe irgendwas auf die Rückseite geschrieben. Sie war leer. Er war einfach verschwunden.
Inzwischen konnte ich nicht mehr heulen. Ich war schockiert und konnte mich kaum bewegen oder einen klaren Gedanken fassen. Der Umschlag rutschte unter meinem Arm weg und fiel zu Boden. Ich hob ihn auf und öffnete ihn.
Er enthielt einen Brief. Eng beschriebene Seiten, und der Briefkopf stammte von einer großen örtlichen Anwaltskanzlei. Ich überflog den Brief. Manche Formulierungen sprangen mir sofort ins Auge. Vertragsbruch. Eine Zehntausenddollarstrafe wurde von der Gesellschaft erhoben. Am nächsten Montag war ein Treffen anberaumt, zu dem ich einen Scheck über diese Summe mitbringen sollte.
Und ich hatte geglaubt, es könne nicht noch schlimmer kommen. Ich stopfte den Brief in meinen Rucksack, verließ das Apartment und legte mich wieder ins Bett, wo ich den Rest des Tages ungestört schlafen und weinen konnte.
Schlafen und weinen war so ziemlich das Einzige, was ich in der kommenden Woche machte. Abgesehen davon gelang es mir – Ironie des Schicksals –, großartige Sendungen abzuliefern. Vielleicht weil ich wusste, dass ich den Sender bald verließ. Ich klang fantastisch, war kompetent und zugleich freundlich, informativ und unterhaltend. Und die Musik passte immer. Ich wusste das, weil ich ein paar Mitschnitte machte. Ich glaubte, dass es vielleicht nicht schlecht war, ein paar Demotapes zu haben, falls mein Name in der wunderbaren Welt des Klassikradios noch was bedeutete. Niemand wäre darauf gekommen, dass die Moderatorin haltlos in Tränen ausbrach, sobald die Sendung vorbei war, und dass sie von Erdnussbuttertoasts und Kaffee lebte.
Kimberly verbrachte ein paar Abende mit mir und saß mit ihrem Notebook in meinem Studio. Sie brachte mir die Reste vom Abendessen mit, das Bill regelmäßig für sie kochte. Aber ich konnte nichts essen. Ich nahm die Tupperschüsseln mit nach Hause und fütterte Brady damit. Keine gute Idee, wie ich feststellen durfte, nachdem ich das erste Mal in Katzenkotze mit Texmex-Resten getreten war.
Nachts lag ich wach und fragte mich, was ich machen sollte. Ohne Job, ohne Mieter, und vermutlich musste ich mein Rentenkonto anzapfen, um die Zehntausenddollarstrafe aufzubringen. Vielleicht vergaßen sie mich ja, wenn ich nicht auf die Forderung reagierte. Ja, ich beschloss, dass das die beste Vorgehensweise war. Und dann warf ich mich die ganze Nacht im Bett hin und her, das noch immer nach Patrick roch, und weinte, bis ich wieder einschlief. In dieser Woche sah ich nur wenig Tageslicht.
Ich rief meine Vertretungen für die kommende Woche an und behauptete, es gebe einen Notfall, weshalb ich nicht kommen könnte. So schaffte ich es, schon im Voraus alle Sendungen abzudecken. Ich war mit den Werbeeinblendungen und den Ankündigungen auf dem neuesten Stand. Ich räumte die Musikdatenbank auf. Ich, die sich so unglaublich unprofessionell verhalten hatte, hinterließ alles geordnet. Neil sollte mir dafür dankbar sein.
Am Freitag packte ich meine wenigen Sachen in eine Kiste, die Kimberly für mich mit nach Hause nahm. Ich war mit dem Rad gekommen, weil die Geschwindigkeit und die brennende Kälte auf meinem Gesicht in diesen Tagen das Einzige waren, woran ich etwas Freude hatte. „Du bist bitte vorsichtig“, erklärte sie mir. „Ich glaube, es gibt einen Eissturm.“
„Wir bekommen hier nie Eisstürme. Dafür ist es nicht feucht genug.“
„Im Moment haben wir aber eine hohe Luftfeuchtigkeit.“ Sie öffnete die Kofferraumklappe. „Ruf mich an, wenn du nach Hause gebracht werden willst. Und …“
„Und was?“
„Ich will dich ja nicht mit schlechten Nachrichten belasten, aber Patrick ist wieder bei sich zu Hause eingezogen. Falls du dich fragst, wo er jetzt ist.“
„Er wohnt mit Elise zusammen?“ Ich legte den Karton in den Kofferraum.
„Verdammt, ich hab keine Ahnung. Soweit ich weiß, wohnt sie noch da. Es ist ja auch sein Haus. Und muss ja nicht gleich bedeuten, dass sie’s wieder treiben. Viele Leute sind mit einem Ex und einem gemeinsamen Haus geschlagen und wohnen für eine Weile unter einem Dach.“ Sie umarmte mich. „Das alles ist einfach scheiße, Süße. Ruf mich morgen an, dann unternehmen wir am Wochenende irgendwas Schönes. Wir könnten ins
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