Diverses - Geschichten
nieder. Es gab nichts, was der Junge dem Mann nicht zutraute. Er ließ sich nicht aufhalten, gebärdete sich selbst als eine Naturgewalt, der sich niemand zu widersetzten wagte. Es half nicht, sich unter einem Dach zu verstecken. Das Dach erhielt im Laufe der Zeit Risse und Schrammen. Es brach auf und ließ es zu, von innen zerstört zu werden.
Es halb nicht, sich unter einer Decke zu verstecken. Der Mann riss sie einfach fort, warf sie zu Boden, zeigte dem Jungen, dass es keinen Schutz gab. Dass nichts und niemand ihn schützen konnten. Und dass es keinen anderen Weg gab, als den, stumm zu erdulden.
Auf Hoffnung, auf Rettung zu warten, bedeutete die sinnlose Verschwendung kostbarer, letzter Reserven. Bänder, an denen er sich festzuhalten suchte, wenn alles unter ihm zusammenfiel und er nur zusehen konnte, wie er tiefer und tiefer stürzte, auf den Aufprall wartete und zugleich wusste, dass er ihn nie erlebte. Sein Leben war nur ein endloser Fall, der keinen Anfang und kein Ende kannte. Manchmal fiel er schneller, manchmal sank er unerträglich langsam. Und immer wartete er, immer wartete er auf etwas Schlimmeres. Etwas, das er sich nicht auszumalen wagte.
Diese Furcht erstickte ihn, wenn er darauf lauschte, wie die Tür langsam aufgeschoben wurde, wie das Holz über den Boden schabte und wie große Füße sich vergeblich darum bemühten, leise zu bleiben. Es gelang ihnen nie. Ebenso wenig wie es dem Mann gelang, die Geräusche zu unterdrücken, die sich aus seiner Kehle empor quälten. Und ebenso wenig wie es dem Jungen gelang den Schmerz beiseite zu schieben und sich das Wimmern zu verbeißen, das trotz der Hand auf seinem Mund den Weg in die Welt suchte.
Der Junge saß im Bett und bebte und lauschte. Der Hagel hörte nicht auf damit, seine Stärke zu beweisen, seine Ausdauer und seine Kraft. Und der Junge fürchtete sich, obgleich er sich in dieser Nacht nicht fürchten wollte. Doch seine Furcht trug zu viele Gesichter. Er konnte ihr nicht Herr werden, konnte nie über sie triumphieren. Er war schwach und klein. Und schuldig. Der Junge weinte.
Vampir
Der Geruch war ihm unbekannt. Hin und wieder nahm er ihn wahr und konnte nicht anders, als zuzugeben, dass er ihn verstörte. Etwas Neues und nicht unbedingt Angenehmes addierte sich zu dem Duft, der ihn für gewöhnlich lockte. Der ihn mit jedem Schlagen eines Herzens lockte, das sich in seine Nähe wagte. Jenes Schlagen, das heiße, süße Ströme Blutes durch feste Adern beförderte und das ihm wie die herrlichste Musik in den Ohren klang. Nicht nur, wenn er trank. Seine Welt beherrschte dieser Klang, das regelmäßige Pochen, das köstlich erschien, ob es nun ruhig und regelmäßig oder aufgeregt und flatterhaft ertönte.
Über Jahrhunderte hatte er sowohl die Laute, als auch die Düfte genossen, die ständig variierten, aber dennoch nie so grundsätzlich voneinander abwichen, dass es ihn verschreckte.
Doch in diesem Jahrhundert entwickelte sich eine neue Seuche. Und der Vampir roch sie, schmeckte sie im Blut seiner Opfer. Sicher, sie konnte ihm nichts anhaben. So wie ihm nie zuvor eine Krankheit etwas hatte anhaben können. Infektionen, Schäden an Körper oder Geist, wuchernde Gewächse an jedem nur existierenden Organ, waren für ihn nie etwas anderes gewesen, als die pikante Würze, die eine notwendige Abwechslung in seinem sonst eintönigen Dasein verkörperte. Nichts davon hatte ihn jemals irritiert, nichts ihn abgestoßen.
Natürlich war er es gewohnt, sich im Verborgenen zu halten. Seine Aktivitäten, seine Gewohnheiten, seine Bedürfnisse vor der Welt zu verstecken, war wichtiger als jeder Luxus, als jede Lebensqualität es sein konnte.
Und so verhielt er sich schon immer eher praktisch als abenteuerlustig, eher vernünftig, als genussorientiert.
Er brauchte nicht viel. Geschichten von Vampiren, die dem Reichtum frönten, belächelte er insgeheim. Viel Fantasie war nicht vonnöten, um zu erkennen von wem sie ersonnen waren. Nur ein Mensch konnte sich vorstellen, dass die Aufmerksamkeit, die ein Leben in Wohlstand mit sich zog, Halt machte bei der Frage nach näheren Umständen. Und allzu genau brauchte keiner seiner Art betrachtet zu werden, bis offensichtlich wurde, dass er nicht von dieser Welt war. Dass ihn etwas Dunkles, etwas Böses umgab. Ein Hauch von Tod und Mord schwang mit jedem ihrer Schritte und weder Blindheit noch taube Ohren konnten die Erkenntnis verschleiern. Eine Ahnung reichte aus, ein Windstoß, ein winziger Gedanke in die
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