Diverses - Geschichten
widersprachen, welche so gerne die Wahrheit für sich in Anspruch nahmen und doch wussten, dass sie nichts als Seifenblasen in die Luft steigen ließen.
Johannes erzählte Geschichten, die Sinn ergaben, die Saschas Welt besser erklärten als Naturwissenschaft, als Schule und alle Erwachsenen zusammen.
Er fasste das Böse in Worte und nahm ihm damit den Schrecken. Wenigstens versuchte Sascha es so zu sehen. Zudem verursachten die Bilder, die der Onkel entwarf, einen wohligen Schauer, der gerade an der Grenze zwischen Wohlbefinden und Schrecken balancierte, Saschas Herz dazu brachte, schneller zu schlagen und seine Fantasie noch Tage, Wochen nach der Erzählung anzukurbeln.
Er dachte viel über die Figuren nach, die Onkel Johannes schilderte. Und obwohl der steif und fest behauptete, dass sie alle der Wirklichkeit entsprangen, wagte Sascha, seine Zweifel anzumelden. Zu entfernt, zu abgehoben und manches Mal auch zu gruselig erschienen ihm die Sagen.
Es war einfacher, dem Urteil der Erwachsenen zu lauschen, sich von ihnen vergewissern zu lassen, dass Onkel Johannes nicht wirklich wusste, was er sagte. Wenngleich der Zweifel hängen blieb, an Sascha nagte und die erfundenen Gestalten immer wieder aufleben ließ.
Letztlich befand Sascha sich noch in einer magischen Welt, in einer Zeit seines Lebens, in dem Märchengestalten lebendig werden und direkten Einfluss nehmen konnten.
So wunderte es auch nicht, dass die Geschichte vom Apfel-Josef, die ihm in einer besonderen Stimmung, am Heiligen Abend und zu später Stunde nahegebracht wurde, sein kindliches Gemüt stärker beeinflusste, als der Onkel es sich wohl jemals ausgemalt hätte.
Der zog sich mit Sascha wie schon so oft zuvor in den Schatten des Weihnachtsbaumes zurück, in eine Ecke, die sie beide gut genug verbarg, dass tatsächlich niemand auf die Idee kam, es könne sich jemand dort befinden, und begann zu erzählen.
Keine Bücher, keine Zeichnung und kein Bild halfen ihm dabei. Er nahm Sascha beiseite, neigte sich ihm auf merkwürdig verschwörerische Weise zu und legte einen Finger auf die gespitzten Lippen.
„Es ist eine besondere Geschichte“, sagte er. „Ich habe damit gewartet, sie dir zu erzählen, weil ich wollte, dass du alt genug bist, um sie begreifen zu können. Um sie wirklich begreifen zu können.“
Er sah den Jungen fragend an, der hastig nickte, dessen Augen größer wurden in Erwartung der Wunder, die sich ihm nun offenbaren werden. Die Zweige des Tannenbaumes hingen tief über ihre Köpfe, der Duft des Grüns, des geschmolzenen Wachses und der zahllosen Gerüche unzähliger Köstlichkeiten, die sie bereits gekostet hatten oder deren Genuss noch vor ihnen lag, erfüllte Saschas Sinne, trug zu dem Zauber bei, in den er sich einspinnen ließ.
Onkel Johannes begann zu erzählen, und Sascha versank in einer anderen, fremdartigen Welt.
Es war der Apfel-Josef, sagte Johannes. Um ihn drehte sich alles. Er wiederholte die uralte Geschichte von Moral, Teufel, Versuchung und dem Verkauf des Kostbarsten, was einem Menschen gehörte. Seiner Seele.
Nicht dass er unglücklich war, dass ein Grund für sein Handeln existierte. Es ging ihm den Zeiten entsprechend gut. Er besaß ein Haus, er besaß eine Obstplantage, auf der er genug Apfelbäume gepflanzt hatte, um für eine lange Zeit seinen Erwerb zu sichern. Und doch fehlt ihm etwas.
Und doch sah er sein Haus an, zweifelte, und fand immer wieder winzige Risse im Gebälk, abgebröckelte Steine, angekratzte Fenster. Diese winzigen Fehler wuchsen in seinen Augen zu riesenhafter Größe an. Er konnte, wollte sie nicht übersehe. Sie quälten ihn, besetzten seine Gedanken, beschäftigten ihn Tag und Nacht.
Sein Haus war nicht groß genug, nicht neu genug, nicht perfekt genug. Stets schielte er auf andere, sah nur Gebäude, die größer waren als seines. Nur Häuser, die schöner waren als seines, Felder, die sich bis zum Horizont erstreckten. Im Gegensatz zu ihnen erschienen Josef seine eigenen Bäume winzig und armselig. Nach einer Weile konnte er deren Anblick nicht mehr ertragen. Zu schäbig, zu einfach, zu billig ragten die Zweige in die Höhe. Monatelang ohne Früchte, ohne Blätter zu tragen. Kahle Äste, mit denen sich nichts anfangen ließ. Obwohl sich in Josefs Keller die Äpfel stapelten, eingemacht in Gläsern, getrocknet in Ringen, oder vergoren als Getränk, war Josef nicht zufrieden, nie zufrieden.
Der Ort, in dem er lebte, war nicht reich. Viele Leute beneideten ihn. Er besaß ein
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