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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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Haus, ein festes Dach über dem Kopf, und einen Broterwerb. Er lief keine Gefahr zu hungern, keine Gefahr, in Armut zu versinken. Josef war kein reicher Mann, aber er hatte sein Auskommen.
    Niemand wusste sich zu erklären, warum Josef mit seinem Schicksal haderte. Sein einst gesundes, rundes Gesicht fiel ein, Falten prägten sich zwischen Nase und Mund, verliehen ihm ein finsteres und missmutiges Aussehen. Er grüßte niemanden mehr. Seine alleinige Aufmerksamkeit galt den großen Häusern auf dem Hügel, den Anwesen, den Villen, in denen die Mächtigen des Ortes lebten. Und nach geraumer Zeit wurde aus der leichten Besessenheit eine Obsession.
    Josef wünschte sich nichts mehr als dazuzugehören. Seine Äpfel reichten ihm nicht. Er wollte mehr. Er arbeitete hart, pflanzte so viele Bäume auf seinem Gelände, wie er es vermochte, verhandelte gnadenlos, verkaufte zu Höchstpreisen, begann sich seinen Vorteil auf Kosten anderer zu sichern, gar zu lügen und zu betrügen um des Profits willen, der ihn doch nie befriedigte.
    Was er einst an Moral besessen hatte, war verschwunden, gewichen der Gier, die nun sein Leben bestimmte.
    Josef mischte sich in die Politik, er wollte ein Amt, Macht und Einfluss, aber ohne ausreichendes Vermögen besaß er keine Möglichkeit, sich einen Namen zu machen. Er zog sich zurück, blieb allein und unglücklich, lebte nur für seinen unerfüllten Ehrgeiz, stieß die Menschen von sich fort und quälte sich selbst, ohne es zu wissen.
    Keiner Schönheit gab er in seinem Leben Raum, kein Gefühl ließ er zu, mit Ausnahme des brennenden Verlangens, seinem Leben eine Bedeutung zu verleihen, die ihren Ausdruck in Form von Geld und Gold finden sollte. Josef glaubte fest, dass Reichtum unvergänglich sei, er glaubte, dass nichts zählte als die Summe dessen, was der Mensch besaß.
    Der Winter war bitter kalt, die Welt gefror, aber er merkte es nicht. Er saß in seinem Keller, betrachtete die eingemachten Gläser, die gefüllten Flaschen, zählte sie zum wiederholten Mal und begann dann damit, unverhohlen grobe Flüche auszustoßen. Es würde nicht besser werden, es wurde nie besser. Niemals würde er mit dem, was er besaß, das erreichen, wonach er sich sehnte.
    Es war eine besondere Nacht, in der sich alles änderte. Auch wenn Josef sich nicht bewusst war, dass es sich um die Nacht zum 25. Dezember handelte. Josef war weit davon entfernt, sich für das Christfest oder jede Art von Feier zu interessieren. Er besaß niemanden mehr, weder Freunde noch Familie. Alle hatte er von sich gejagt, seinem sinnlosen Ehrgeiz untergeordnet. Das Loch in seinem Herzen klaffte weit auf, doch sah er nicht, womit er es füllen konnte.
    Er erhob sich und begann, durch die Straßen des Ortes zu laufen. Ziellos, ohne zu ahnen, wohin der Weg ihn führte.
    Die Kirchenglocken läuteten die Mitternacht ein, aber Josef schenkte ihnen keine Beachtung, schenkte weder der Christnacht eine Beachtung, noch dem Sternenzelt, das sich weit über ihn wölbte, ihn mit unzähligen funkelnden Lichtern erfreuen wollte. Die Glocken hallten in der Weite, der Mond stand als schmale Sichel am Himmel. Sein silberner Schein verwandelte die Welt in einen friedlichen Ort.
    Doch der Zauber, der durch die Nacht wehte, zerfloss unbeachtet im Angesicht von Josefs Schwermut. Er haderte mit seinem Schicksal, ergab sich der Hoffnungslosigkeit seines Daseins, die ihn niederdrückte. Warum, fluchte er, warum nur ist mir nicht vergönnt, das zu erreichen, was ich mir wünsche. Warum erhalten alle anderen ihren Willen, erfüllen sich ihre Träume, nur meine gehen nicht in Erfüllung?
    Josef ging schneller, verließ den Ort. Er sah nichts von all den Wundern, die um ihn herum geschahen. Er sah nicht die zarten Schneeflocken, die leise zur Erde rieselten. Weder bemerkte er das leise Singen aus der Ferne noch die sanften Schwingungen, die durch die Welt wanderten, Pflanzen, Tiere, und sogar Gestein in Vibrationen versetzen.
    Kunstvolle Kristalle setzten sich auf seiner Jacke ab, hafteten an seinen Schultern und Ärmeln, als wollten sie ihn streicheln und schützen. Als wollten sie ihm einen Rat mit auf den Weg geben, einen Hinweis, der ihn umkehren ließ, zurückkehren in sein Leben.
    Doch sein Leben erschien ihm bitter und ungerecht. Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten, seine Stirn runzelte sich, als er seine Schritte beschleunigte. ‚Es ist eine Zaubernacht‘, flüsterten Erde und Geister ihm zu. Sie sei magisch, sie locke, sie verlocke die

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