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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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glänzende Gläser angehoben wurden und man sich alles Gute wünschte.
    Seltsam genug schien es Johannes ebenfalls nichts auszumachen.
    Manchmal sonnte sich Sascha in dem Gedanken, dass Johannes sich nur seinetwegen dem Zusammentreffen mit den weitgehend unbekannten und bis zu einem gewissen Grad auch furchteinflößenden Verwandten aussetzte.
    Weitaus besser schien es ihm, sich in den Erzählungen des Onkels, in Büchern und Bildern zu verlieren, die eine immer wieder neue, manchmal wirre, und allzu oft phantastische Perspektive eröffneten.
    Wo die Bücher von Engeln und guten Taten sprachen, da ließ Johannes nie die andere Seite des Lebens und der Existenz außer Acht. Dem natürlichen Gleichgewicht seine Achtung zollend sprach er aus, was Sascha sich gelegentlich bereits selbst dachte.
    Dass die Welt nicht so heil und süß war, wie in seinen Geschichten dargestellt, und wie man sie ihm weismachen wollte. Dass jede Schönheit auch einen Gegenpart, jede Sicherheit Gefahr in sich trug.
    Nichts existierte ohne das Andere. Und gab es einen Engel, so war es nur rechtens anzuerkennen, dass sich irgendwo der ihm zugehörige Dämon herumtrieb und nach Aufmerksamkeit schrie.
    Die Monster unter Saschas Bett bildete er sich nicht ein. Sie waren real, so wie die Geräusche, die manches Mal aus dem Kleiderschrank drangen, wie die Schritte, die die Stufen des Hauses zu ihm heraufstapften, unweigerlich, ohne dass er sich gegen sie wehren konnte. Und die doch immer wieder vor seiner Tür stoppten, gerade als fürchteten sie sich einzutreten.
    Fast so, wie er selbst sich fürchtete, wenn er die Decke über seinen Kopf zog und nichts anderes tun konnte, als abzuwarten, als ruhig zu atmen und zu zählen, bis der Schrecken gleichzeitig mit den Lauten nachließ.
    Albern nannten ihn die anderen, wenn er von seinen Ängsten zu erzählen suchte. Ein großer Junge sollte er sein, sich nicht anstellen. Nichts war da draußen, was ihm ein Unheil antun könne, das müsse er doch wissen – in seinem Alter.
    Nur fragte Sascha sich ernsthaft, wie man ihm im Gegenzug weiszumachen suchte, ein neugeborenes Baby, von himmlischen Heerscharen, von pausbäckigen Engelskindern begleitet, sei in der Lage, die Welt zu erlösen. Welch ein Aberglaube könnte größer sein? Und inwieweit ergab eine Geschichte wie die der Weihnacht mehr Sinn, als das Monster, das er doch in seiner Nähe spüren konnte?
    Jedes Mal, wenn sich ihm nachts die Haare aufstellten, wenn es sich durch einen Luftzug, ein Rascheln, ein Knacken verriet.
    Und wusste er mit absoluter, unwiderlegbarer Sicherheit, dass er nicht allein im Raum war, wie man ihm erklären wollte, dann müsste er sich doch auch geneigt sehen, an Engel zu glauben. An ein Gleichgewicht der Mächte, als deren Spielball er selbst diente. Die sich an seiner Furcht und seinen Zweifeln ergötzten, sich über ihn amüsierten und als das ansahen, was er war. Ein kleines unwissendes Kind, das sich hilflos unter der Bettdecke versteckte. Das allein und verloren auf den Tagesanbruch wartete und darauf, dass die Angst verschwand.
    Johannes verstand. Er war der Einzige, der ihm zuhörte und der nichts sagte. Er lauschte stumm, wog die Worte des Jungen in seinem Inneren ab und dachte über sie nach.
    Und das war gut so. Sascha erwartete keine sofortige Antwort. Er erwartete keine Hilfe, die sich ihm aufdrängte. Nicht die vielleicht wohlgemeinten und doch abfälligen Ratschläge, die er sich von den großen Leuten anhörte. Von denen keiner ernsthaft verstand, was in ihm vorging. Als ob die großen Leute keine Angst kannten.
    Sascha wartete ab, ob sie bei ihm auch verschwand. Doch mit jedem Zentimeter, den er wuchs, stellte sich erneut das Gegenteil ein, wuchs auch seine Angst, seine Einbildungskraft und sein Glaube an das Unvermeidliche.
    Das Unvermeidliche sah nie angenehm aus. Es drohte stets dunkel und näherte sich unweigerlich.
    Davon sprach Sascha nicht. Es half bereits, wenn Johannes nickte, wenn er sich anhörte, wie ein körperloser Fingerknöchel in der vergangenen Nacht gegen Saschas Fenster geklopft hatte. Wenn er es sich und dem Jungen ersparte, ihn zu ermahnen, davon zu sprechen, dass der sich nur zusammenreißen solle, dass alles ohnehin früher oder später vorbeiginge.
    Und Johannes brachte seine eigenen Geschichten mit ein, die noch weitaus tiefere Abgründe aufwiesen, als Sascha sich je vorzustellen vermochte.
    Der Onkel sprach von Dämonen, die durch die Welt zogen, die den süßen, weichen Geschichten

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