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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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wird nicht so schnell enden.“
    Er streckte seine riesige Klaue aus und Josef fühlte, wie sich sein eigener Arm bewegte, ohne dass sein Gehirn einen Befehl dazu aussandte. Er fühlte, wie die heiße Hand seine kleine umfasste und zudrückte, wie seine Haut brannte und schmerzte. Mit einem Schrei zog er sie zurück und betrachtete die gerötete Handfläche.
    Winzige Risse bildeten sich. Blut strömte heraus. Luzifer hob seine eigene Hand zum Mund und leckte mit einer langen spitzen Zunge das Blut auf. Er schloss die Augen und brummte genießerisch.
    „Siehst du“, sagte er, „so einfach ist das. Du wirst es nicht bereuen, nicht sofort.“
    Damit verschwand er und Josef blieb verwirrt zurück. Er sah in den Himmel, sah um sich, aber er konnte nichts erkennen.
    Er war allein, allein mit einem Traum, der entweder Albtraum oder erstes Anzeichen des Wahnsinns sein musste.
    Josef bemerkte zum ersten Mal an diesem Abend, in dieser Nacht, die sanfte Krümmung des Mondes über ihm, den milchigen Schein, den der Himmelskörper aussandte.
    Und die Zweifel an sich selbst, an seinem Leben, verschwammen, verwandelten sich in unbedeutendes Nichts. Ebenso wie die Erinnerung an die rotgesichtige Gestalt sich in Nichts auflöste, zu einer lächerlichen Einbildung wurde, die es sich nur zu vergessen lohnte.
    Doch die Sterne über ihm blinkten heller, die Spuren, die er im Schnee hinterließ, sie malten Muster. Und Josef begann, diese Muster zu bewundern. Er begann, auf den Klang der Stimmen zu lauschen und sie erschienen ihm wie die schönste Melodie.
    Menschen traten aus der Kirche, versammelten sich, lachten und redeten, während ihr Atem in weißen Wolken in den Himmel stieg.
    Aus der Ferne läuteten Silberglocken, durchzogen mit ihrem Klang die Nacht, als versprächen sie neue Hoffnung und eine bessere Zukunft.
    Josef kehrte nach Hause zurück. Er sah den Schnee auf dem Dach, die leeren Fensterhöhlen, die Einsamkeit im Inneren. Doch zugleich roch er den Duft süßer Äpfel, grüßten ihn kahle Äste aus seinem Garten, als wären sie nicht tote Mahnung, sondern freundliche Nachbarn.
    Und am nächsten Tag erhielt er ein Angebot für seine Vorräte.
    Ein Unglück war geschehen, ein plötzlicher Mangel an der Frucht, die doch gerade während dieser Zeit des Jahres in aller Munde sein wollte.
    Sein Keller war leer, ehe er sich’s versah. Und sein Konto voll.
    Nicht nur das, die Nachricht von seiner Hilfe, von der Qualität seiner Produkte, deren Geschmack, machte die Runde.
    Zeitungen, Radio, Fernsehen vermeldeten sein Genie, seinen Erfolg und verbreiteten seinen Namen, so wie er damit begann, sein Geld zu verbreiten.
    Er kaufte das größte Haus im Dorf. Er wurde bekannt als Apfel-Josef, als ein Wahrzeichen, eine Institution. Um seine Villa baute er einen goldenen Zaun. An den Spitzen der Pfähle schimmerten goldene Äpfel. Und über seiner Tür brachte er ein Schild mit seinem Namen an, das weithin leuchtete. Und das nicht nur, weil sich sein Haus am höchsten Platz des Ortes befand.
    Nun waren es seine Apfelplantagen, die bis zum Horizont reichten. Er war zu einer Marke geworden, zu einer Berühmtheit, zu einer gehörten Stimme im Stadtrat.
    Wahlen standen an und er wachte auf als Bürgermeister.
    Was er anfasste wurde zu Geld. Josef lachte und genoss sein Leben. Keinen Gedanken verschwendete er an den Preis seines Erfolges. Er hatte vergessen was ihm seinen Aufstieg ermöglicht hatte, seine Begegnung zur mitternächtlichen Stunde war ihm entfallen.
    Das alte, vergangene, unzufriedene Leben versank im Nichts, und Josef erwachte in einer Existenz, die nicht ihm gehörte.
    Nur wusste er das nicht.
    Nur schleichend und je mehr die Jahre vergingen, je länger sich sein Erfolg hinzog, je mehr Fragen zu seiner unglaublichen Glückssträhne gestellt wurden, kroch das Gefühl einer Unzulänglichkeit, die er sich nicht erklären konnte, in sein Bewusstsein. Es war nicht, als glaubte er, dass er sein Glück nicht verdient hatte. Aber er bemerkte die Nebenerscheinungen, bemerkte den Neid, der ihm zunehmend und von allen Seiten entgegenschlug.
    Nun war er es, der auf dem Hügel lebte, zu dem die anderen aufsahen. Er wusste, dass er beneidet wurde. Und je sicherer sich Josef dieses Wissens wurde, desto stärker verdichtete sich seine Ahnung von verdrängten Gefühlen, die in seinem Inneren schlummerten, auf Entdeckung warteten.
    Er begann, sich selbst in seinen Neidern zu sehen. Und erkannte seine Neider in sich.
    Mit der Erkenntnis

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