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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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Handhabung hatte sie sich abgeschaut. Doch für eine Exkursion in das vielgepriesene, segensreiche Internet, wie die begeisterten Nachkommen es ihr mit glühenden Worten zu schildern wussten, nein, darin hatte sie keinerlei Sinn, nicht den geringsten Grund gesehen.
    Und doch geschah das Einzige, was sie stets bemüht gewesen war zu vermeiden.
    Tief in ihr wuchs ganz langsam und dennoch stetig, die Überzeugung, unweigerlich und in nicht allzu ferner Zukunft zugeben zu müssen, dass sie im Unrecht gewesen war.
    Die bunte Welt, die ihr so tröstlich aus dem flachen Bildschirm entgegen schimmerte, sie stellte sich von Tag zu Tag verlockender und umfangreicher dar, bot Unterhaltung und Abwechslung, Gesellschaft und Geborgenheit weitaus stärker, als es ein Fernseher jemals ermöglichen würde.
    Nicht, dass es vollkommen ungefährlich gewesen wäre, ganz im Gegenteil.
    Semira bemerkte eine seltsame, beinahe beängstigende Veränderung an sich. Die schillernde Online Welt fing an, sie mehr und mehr in ihren Bann zu ziehen, streckte ihre gierigen Klauen nach ihr aus, selbst wenn sie ihren gewöhnlichen, alltäglichen Pflichten wie stets gewissenhaft nachging.
    Das sorgfältige Schreiben ausgewählter Briefe begann sie ebenso zu vernachlässigen wie die regelmäßigen Besuche bei ihrem Friseur, die ihr den notwendigen Schick verleihen sollten. Desgleichen widerfuhr den Visiten im anliegenden Haut-und Nagelpflege Studio, sowie in der kleinen Boutique, die ihr gewährleistete, immer noch als die perfekte, wie aus dem Ei gepellte Erscheinung zu gelten. Einmal ertappte sie sich sogar dabei, eine ihrer widerspenstig gekräuselten Haarsträhnen, die sich aus der strengen Frisur gelöst haben musste, zurück zu streichen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, die Positionen ihrer Haarnadeln einer Generalüberholung zu unterziehen.
    Eine schier unverzeihliche Nachlässigkeit.
     
    Und doch konnte sie nicht anders, blieb ihr Geist verknüpft mit diesem unscheinbaren, grauen Kasten, der sich so geschmacklos in ihrer mit entzückendem Nippes dekorierten Wohnung ausmachte.
    Um ehrlich zu sein, war es nicht der Kasten allein, auch nicht die bunte Online Welt, die sie, selbst während ihres kurzen Ausfluges zum Bäcker nebenan, gefangen hielt.
    Nein, es waren die reizenden Dialoge, die sie dort, in der virtuellen Phantasiewelt mit einem körperlosen, doch äußerst wohlerzogenen Herrn führte.
    Es waren die stundenlangen Gespräche über Literatur, klassische Musik und sogar über gewagte, regelrecht anzügliche Gemälde oder Kunstwerke.
    Beispielsweise seien die Skulpturen Rodins, die Darstellungen Gustav Klimts erwähnt, die eine Frau wie Semira eigentlich nur mit niedergeschlagenen Lidern und unter leichtem Erröten zu betrachten pflegte, ganz zu schweigen von gewissen Ausflügen in Bereiche der Poesie, die ihr bislang verschlossen geblieben waren.
    Doch in dieser freien Welt, mit diesem netten Konversationspartner wagte Semira es tatsächlich, von Zeit zu Zeit, aus sich herauszugehen, wagte es, auf einen kleinen frivolen Scherz, eine Bemerkung, welche die Intentionen eines Salvatore Dalis, eines Toulouse Lautrecs in Frage stellte, flink und wortgewandt einzugehen.
    Unglücklicherweise lenkten diese neu erworbenen Entdeckungen Semira in einem Ausmaße von der Wirklichkeit ab, dass sie doch tatsächlich ihr Wechselgeld auf der Theke liegen ließ, und erst auf den wiederholten Anruf des weiß bemützten Bäckers hin, ihre Schritte zu ihm zurück lenkte.
    “Bitte sehr. Meine Verehrung, gnädige Frau.”
    Der Schalk saß in den dunklen Augen, als ein breites Grinsen sich über sein durch Wind, Wetter und überstandene Jahre geprägtes Gesicht ausbreitete.
    Er grinste wie... wie ein köstliches, süßes Honigkuchenpferd, das nichts lieber tun würde, als sich seinen duftenden, braunen Kopf abbeißen zu lassen.
    Semira lächelte zurück. Und mit einem Mal war sie sich sicher, wusste, dass er es sein musste, dass er das Opfer war, der Freund, der Partner für ihre Gottesanbeterin.
     * * *
     
    Feiertage
     
    An Tagen wie diesen zweifelte Malcolm mitunter daran, den richtigen Beruf gewählt zu haben. Immer wieder begannen die Menschen gerade zu dieser Zeit des Jahres durchzudrehen, als könnte keiner von ihnen den Gedanken ertragen, dass schon wieder ein Jahr in den letzten Zügen lag.
    Wäre ihm die Sache mit der Bombendrohung, die Terrorwarnung nicht dazwischengekommen, dann befände er jetzt bereits auf dem Weg zu seiner

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