Diverses - Geschichten
“Das war nicht mein Vater.”
“Ach entschuldige!”
Die junge Frau trat einen Schritt zur Seite, so dass sie im Schatten eines ausladenden Ahorns besser zu sehen war und Hanna fiel es mit einem Mal wieder ein. Diese Augen hätte sie unter Millionen wiedererkannt. Ein leichtes Erröten stieg in ihre Wangen, und sie versuchte es hastig, mit ihrem Buch zu verbergen.
“Hi!” Die andere streckte ihr unkompliziert die Hand entgegen, die Hanna zaghaft ergriff und lächelte freundlich. “Ich bin Eleonore. Darf ich dann fragen, mit wem du dort warst?”
Hanna erinnerte sich an die kleine Vorstellung, die sie geboten hatte, und murmelte verlegen: “Das ist ein kompliziertes Thema!”
Eleonore nickte und setzte sich neben sie. “Den Eindruck hatte ich auch, und wenn ich das sagen darf...”, sie zögerte einen Moment, “...ich habe mich ohnehin gefragt, was eine so hübsche Frau an einem doch erheblich älteren Mann zu finden vermag.”
Hanna konnte nicht anders, als in sich hinein zu grinsen. “Benedict ist schon in Ordnung. Wir haben nur manchmal... Differenzen.”
“Manchmal soll etwas auch nicht sein.”
Hanna blickte überrascht auf. “Das ist sicher richtig.”
Sie verstummte, peinlich berührt, und fand sich gefangen im Blick dieser hypnotisierenden Augen, die sich beinahe beschwörend in die Ihren bohrten. Ihr Versuch, sich aus diesem Bann zu befreien, fiel in sich zusammen, als Eleonore eine zarte und zugleich kräftige Hand auf die ihre legte und sich zu ihr neigte.
“Ich würde dich gerne wiedersehen. Sag mir nur wann!”
“Ich weiß nicht”, stammelte Hanna. “Warum solltest du das wollen?”
Eleonore schwieg einen Moment, dann zwinkerte sie ihr mit einem Mal aufmunternd zu, legte den hübschen Kopf schief, so dass ihre langen, samtenen Haare seitwärts glitten. “Was meinst du, warum?”
Hanna fühlte wieder das Blut in ihr Gesicht steigen, und verfluchte sich dafür. Was war nur los mit ihr, kein Mann hatte es jemals geschafft, sie derart in Verlegenheit zu bringen, ganz im Gegenteil. In der Regel war es an ihr, den männlichen Partner regelmäßig in Verwirrung zu stürzen. Sie schluckte, leckte sich die Lippen und wagte schließlich zu antworten. “Ok, wir könnten bei Gelegenheit etwas trinken gehen, einen Kaffee vielleicht, oder... “.
“Oder etwas Stärkeres”, neckte Eleonore sie. “Ich freu mich darauf.”
Damit stand sie auf, ergriff Hannas Hand und legte einen Zettel hinein. Rasch beugte sie sich noch einmal zu ihr hinunter, flüsterte in ihr Ohr und küsste zärtlich ihre Wange. Es fühlte sich an, als würde sie von einem Schmetterlingsflügel gestreift werden.
Gedankenverloren starrte Hanna auf die in schlanken Buchstaben notierte Telefonnummer, Eleonores, drei Worte noch in Erinnerung. ‘Ruf mich an!’
*
“Erzähl mir etwas!” Eleonore lag auf der Seite, und blickte auf Hanna hinab, die sich auf dem seidigen Laken ausgestreckt hatte.
“Du weißt schon, dass du den süßesten Mund der Welt hast”, fügte sie hinzu und beugte sich über sie, um von der Süße zu kosten.
Hannas Röte vertiefte sich, als sie den Kuss erwiderte. “Das kommt von dem Dessert”, neckte sie.
“Ich dachte, das Dessert sei ich gewesen.”
“Du spinnst!” Lachend schubste Hanna sie von sich. “Obwohl”, sie legte ihre Stirn in Falten, “obwohl du eigentlich besser schmeckst als jede Schokolade.”
Eleonore rieb ihr Gesicht an Hannas über die Kissen ausgebreitete Locken. “Komm schon, Dornröschen, erzähle mir etwas über dich. Ich weiß noch viel zu wenig von dir.”
“Da könnte ich mich aber auch beschweren, geheimnisvolle Fremde, oder?”, kicherte Hanna. “Aber gut, welche tiefen, dunklen Geheimnisse möchtest du denn lüften?”
Eleonore überlegte. “Etwas aus deiner Kindheit. Etwas über die kleine Hanna. Sicherlich warst du ein Prinzesschen.”
Ein Schatten flog über Hannas Gesicht.
“So würde ich es nicht direkt ausdrücken.”
“Was ist?” Eleonore wandte sich ihr besorgt zu. “Familienschwierigkeiten?”
Hanna zuckte abweisend mit den Schultern. Nun ja, das Übliche. Vater nie zu Hause, ständiges Umziehen...“.
Die andere nickte verständnisvoll. “Das ist nicht leicht für ein Kind. Und was tun deine Eltern heute?”
Hanna schluckte. “Meine Mutter starb vor ein paar Jahren.”
“Das tut mir leid. Und dein Vater?”
Sie drehte sich um, richtete den leeren Blick auf die kahle Wand. “Das ist nicht so einfach.”
Eleonores
Weitere Kostenlose Bücher