Diverses - Geschichten
Erscheinung einer jungen Frau, deren ungewöhnlich hell leuchtende Augen einen faszinierenden Kontrast zu der dunklen Haarpracht bildeten, die sie locker hochgesteckt trug.
Den Kellnern war es gelungen, innerhalb dieses Augenblickes die Tischdecken zu wechseln und ihr Gedeck zu ersetzen. Benedict rückte ihr den Stuhl zurecht, mühelos wieder in die Rolle des perfekten Gentlemans schlüpfend.
“Sieh mal”, versuchte sie zu erklären. “Ich kann mich mit all dem nicht auseinandersetzen, solange ich nicht weiß, wie die Sache ausgehen wird. Wie ich ihn behandelt, dafür, was ich gesagt habe, werde ich mich immer schuldig fühlen, solange bis...“ Sie zögerte und fuhr fort. “Aber ich kann ihm auch nicht verzeihen, nach den Dingen, die er mir zugemutet hat, die er mir auch jetzt wieder zumutet. Die Ungewissheit ist bei weitem schlimmer, als ihn tot zu glauben.
Und dazu kommt noch, dass ich mittlerweile nicht mehr weiß, was ich glauben soll. Vielleicht ist das alles auch nur wieder ein abgekartetes Spiel auf unsere Kosten, ein verrückter Plan, den er im Geheimen ausgeheckt hat, um sich selbst in die größten Schwierigkeiten zu katapultieren.”
Sie lachte bitter, ließ ihre Augen im Raum umher wandern, nur um Benedict nicht ansehen zu müssen, der ganz untypisch für ihn, Zurückhaltung zeigte und ihr nicht ins Wort fiel. Im Gegenteil, er schwieg, und sie genoss den Moment der Ruhe, fand sich unerwartet in Blickkontakt mit derselben Frau, die ihr vorhin bereits aufgefallen war. Deren Augen leuchteten in einem nicht genau zu bestimmenden Farbton, einer faszinierenden Mischung aus grün und blau, am ehesten noch mit Türkis zu beschreiben, einem strahlenden Türkis, ähnlich wie..., ja, ähnlich der Augenfarbe ihres Vaters, wenn sie das Licht auf eine ganz bestimmte Art reflektierten.
Verwirrt senkte sie den Kopf, schob, unangenehm berührt, ihr Besteck zur Seite. Konnte sie denn nur noch an Thorsten denken? Würde er sie immer verfolgen, egal, was sie auch unternahm, um ihn loszuwerden? Sie seufzte, spürte diesen Blick auf sich ruhen, diesen Blick, der sie auch quälte, wenn sie ihre Augen geschlossen hielt.
“Madame, Monsieur - s’il vous plait!” Geschickt servierten die Kellner in beinahe parallelen Bewegungen ihre Speisen, vergewisserten sich höflich, ob alles zu ihrer Zufriedenheit verlief und zogen sich dann diskret zurück. Natürlich war das Essen exquisit, Hanna merkte, dass sie nun doch Appetit hatte. Letztendlich hatte es auch keinen Sinn sich mit Dingen zu quälen, die doch nicht zu ändern waren.
*
Noch niemals hatte sie einen schöneren Menschen zu Gesicht bekommen. Der Körper - perfekt in seinen weichen Kurven, die Haare - wie flüssiges Gold, das ihren Rücken hinunterfloss und die Augen ausdrucksstark, voller überströmender Emotionen, spiegelten Wut, Trauer, Unsicherheit, ebenso wie Überheblichkeit, eine Arroganz, die, wie sie wusste, zumeist in erster Linie einen Selbstschutz darstellte. Auch wenn sie nicht wegen ihr hier gewesen wäre, ihre Erscheinung hätte sich überall und zu jeder Zeit in ihre Erinnerungen eingebrannt, den Wunsch in ihr geweckt, sie wieder zu sehen.
Der Mann, der ihr gegenüber saß, war ein Snob. Einer von der Sorte, die ihr bereits unzählige Male in ihrem jungen Leben begegnet war, zu oft, um nicht tief in sich zu wissen, dass, wenngleich sie äußerlich jung erscheinen mochte, ihre Seele doch die einer uralten Frau war, einer Frau, die bereits zu viel gesehen, zu viel erlebt, zu viel getan hatte, auf das niemand stolz sein konnte. Und selbstverständlich kannte sie ihre Wirkung auf andere Menschen. Menschen beiderlei Geschlechts ließen sich von ihr problemlos bezaubern und manipulieren.
Doch nun hatte sie ein neues Ziel im Visier.
Wer diese Frau war, das hatte sie schon erfahren. Wer sie wirklich war, das würde Eleonore bald herausbekommen.
*
“Hey!”
“Hey”, antwortete Hanna automatisch und sah von ihrem Buch auf, in das sie sich während der Mittagspause vertieft hatte. Das Wetter war zu schön, um die Zeit in der stickigen Kantine zu verschwenden. Deshalb hatte sie sich für einen kleinen Ausflug in den Park entschieden, um ein wenig abschalten zu können.
“Kennen wir uns nicht?”
Hanna legte ihre Hand über die Augen und versuchte, gegen die Sonne zu blinzeln. Irgendetwas schien ihr vertraut.
“Im Restaurant, vor ein paar Tagen. Du warst mit deinem Vater dort.”
Hanna verzog den Mund und schüttelte den Kopf.
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