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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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der wie ein N aussah, mit einem Kreis drum. Der Typ dachte offenbar, es wäre ein Nazisymbol, N wie Neonazi. Es drangen eben nicht immer alle Infos von drüben korrekt bis an die Basis vor. Jedenfalls erzählte er mir, daß er und seine Fascho-Clique vom Hauptbahnhof übelst Angst vor den Connewitzer Punks hätten. »Die sind echt schlimm. Nach Connewitz würde ich mich nur mit mindestens fünfzig Mann trauen, zwanzig reichen da nicht.« Ich hatte noch nie was von so gefährlichen Connewitzer Punks gehört, nickte ihm aber bestätigend zu. Er verpißte sich schnell wieder, und ich rannte gleich zu Triebi hoch, wo noch einige andere aus unserer Clique waren. Ich erzählte, was ich soeben erlebt hatte. Wir waren begeistert. Die Faschos dachten, Connewitz wäre ein linkes Viertel. Sofort erklärten wir unsere Südvorstadt auch zu Connewitz gehörig und beschlossen: »Diesen Mythos müssen wir nähren.«

Behind the Wall - Depeche Mode in Ostberlin
    Immer wieder kursierten Gerüchte, daß diese oder jene populäre Band aus Westeuropa in die DDR kommen sollte. Darum hielt ich den Anruf von den Götzens-Zwillingen Anfang März 1988 für eine der zahllosen Enten. »Depeche Mode kommen nach Ostberlin. Soll ein FDJ-Geburtstagskonzert sein«, erzählten sie mir am Telefon. Die Götzens-Zwillinge, meine alten Kumpels aus der Jungen Gemeinde, waren vor einigen Monaten von Leipzig nach Ostberlin gezogen, weil ihr Vater eine Kirchgemeinde im Stadtteil Mitte übernommen hatte. Sie saßen also an der Infoquelle. Ich glaubte ihnen dennoch kein Wort. Die Ungarn kriegen so was vielleicht auf die Reihe, da ist eh schon halber Westen, aber die FDJ? Niemals.
    Drei Tage später erzählte mir Holger aus meiner Klasse, daß er bei unserem landesweiten Jugendradio DT64 angerufen habe und die ihm dort bestätigt hätten, daß Depeche Mode am Montag, dem 7. März, in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle ein Konzert geben würden. Ich drehte fast durch. Panik! Adrenalin! Ich mußte nach Berlin! Ich brauchte eine Karte!
    Zu Hause angekommen, rief ich noch mal die Götzens in Berlin an. Daniel erzählte mir, daß in ihrer Schule pro Klasse jeweils zwei FDJler eine Karte geschenkt bekommen hätten. Als Auszeichnung sozusagen.Pech für ihn und seinen Zwillingsbruder als alte Depeche-Mode-Fans: Sie waren Pfarrerssöhne und nicht FDJ-Mitglieder. Die Karten in ihrer Klasse hatten zwei Sprallis bekommen, die nix groß mit Depeche Mode anfangen konnten, die die Tickets aber auch nicht rausrückten. Sie kannten aber jemand anders, der für 150 Ostmark seine Karte verkaufen würde. Mit nur einer Karte konnten die Götzens aber nichts anfangen, also boten sie sie mir an. Der Nervenkitzel dabei war, daß die Kartenübergabe erst Montag mittag stattfinden sollte, also wenige Stunden vor Konzertbeginn. Überlegte es sich der Typ noch mal anders, wäre ich umsonst nach Berlin gefahren. Die Konzertkarten waren übrigens nur für die Berliner FDJler. Der Rest der DDR hatte Pech gehabt.
    Pikanterweise hatten wir am Montag nachmittag in Lindenau eigentlich das wahnsinnig wichtige Unterrichtsfach »Einführung in die sozialistische Produktion«. Ein kurzfristiger Versuch am Montag vormittag, eine offizielle Freistellung für den Nachmittag zu bekommen, scheiterte jedoch. Diese konnte nämlich nur der ESP-Fachlehrer selbst erteilen. Aber mein Zug fuhr genau zu dieser Zeit. Also Schule schwänzen. Oh, oh, das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Kurzes Abwägen, Depeche Mode oder ESP? Was für eine blöde Frage. Ich würde heute nachmittag zum erstenmal Schule schwänzen und mich nicht in die sozialistische Produktion einführen lassen.
    Nach dem Mittagessen in der Schule setzte ich mich unauffällig nach Hause ab und zog meine besten Depeche-Mode-mäßigen Klamotten an. Auf dem Hauptbahnhof kaufte ich mir eine Fahrkarte und ging zumBahnsteig. Ich hatte noch etwas Zeit, der Zug war noch nicht da. Auf einer Bank saßen bereits zwei Dave Gahans. Ich stellte mich in ihre Nähe. Kurze Zeit später kam ein weiterer Dave Gahan mit zwei weiteren schwarzgekleideten Kumpels und einem Kassettenrekorder auf den Bahnsteig. Er sprach mich sofort an, und wir tauschten die News zum Thema Konzertkarten aus. Endlich – der Zug fuhr ein. Wir nahmen uns zusammen ein Abteil, und natürlich wurde die ganze Fahrt über gefachsimpelt, welche B-Seiten-Songs man kenne, welche Maxi-Versionen, Remixe, Live-Mitschnitte. Ich merkte, er wußte gut Bescheid, offenbar hatte er eine Menge

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