Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
würde, interessierte wirklich niemanden in unserer Klasse, maximal vielleicht noch Manni, der sich für zehn Jahre verpflichten wollte. (Wir vermuteten jedoch, daß er dasnur gesagt hatte, um von den Lehrern durch die 10. Klasse geschleift zu werden, denn seine Zensuren waren ziemlich mies.)
    Trotzdem machten wir unserem Oberunterstabsdingsbums die Freude und zogen das nächste Mal unser schönes blaues FDJ-Hemd an, wir wußten doch, was sich gehörte. Während viele es jedoch eher schamvoll unter großen Sweatshirts versteckten und nur der Kragen zu sehen war, hatten Nauni, Thümi, Rüdi und ich uns das Hemd über alles drübergezogen und sogar den obersten Knopf zugemacht. (Es soll FDJler gegeben haben, die steckten nur noch den Kragen oben an das Sweatshirt ran, der Rest des Hemdes war schon in der Mülltonne – so konnte man nach offiziellen Veranstaltungen schnell wieder in »zivil« rumlaufen – cool!) Zusätzlich schmückten wir unsere Hemden mit Lenin-Ansteckern aus der Sowjetunion – alles für Wichslippe! Anstecker aus der SU waren seit einiger Zeit sowieso schwer angesagt, nur daß dieser Trend nicht aus dem Osten kam. Martin Gore von Depeche Mode trug einmal auf einem Poster an der Lederjacke solche Lenin-Anstecker. Sofort rannten alle Fans in der DDR los und besorgten sich diese bislang völlig nutzlosen und uncoolen Pins. Endlich mal was, das man bei uns besser bekommen konnte als im Westen!
    Wichslippe erzählte uns also etwas über das tolle Leben eines Berufssoldaten, daß es keine Eheprobleme gäbe, weil man die Ehefrau selten sähe, und daß man in den Genuß vieler, vieler Vergünstigungen nach der Armeezeit kommen würde, so zum Beispiel einer schicken Wohnung und eines Studienplatzes nach Wunsch. Nicht ganz so fit war er mit den Angaben, wie viele Soldatensich denn in Ost und West gegenüberstehen würden. Er erklärte, daß die Bundeswehr 100 000 Soldaten ständig unter Waffen hätte, die NVA hingegen nur 9000. Uns kamen Zweifel. Überall sah man Kasernen im Land und Rekruten in der Stadt, das waren nie und nimmer nur 9000 in der ganzen DDR. Das nächste Mal korrigierte er seine Zahlen folgendermaßen nach oben: Bundeswehr eine Million Soldaten, NVA 90 000. Nun war uns endgültig klar, er hatte null Peilung. Als einmal Anette ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte, versuchte er seine Autorität zurückzugewinnen, indem er sie anfuhr: »Soll ich das politisch werten, daß Sie Ihre Aufgaben nicht gemacht haben?« Anette wurde rot und schwieg. Der Trottel, wie sollte er auch als Berufsoffizier etwas von Müßiggang verstehen.
    Geradezu spektakulär waren seine Ausführungen, wie der Westen versuche, uns in der DDR mittels Musik zu beeinflussen. Wie wir alle wußten, hielt die NATO laut ihrer Militärdoktrin einen begrenzten Atomkrieg für durchführbar. Mit ernster Mine und erhobenem Zeigefinger verdeutlichte uns Wichslippe die Bedrohung durch die NATO folgendermaßen: »Nicht umsonst singt die BRD-Schlagersängerin Nicole nur von ›ein bißchen Frieden‹!« Leider durfte man bei seinen Pointen nicht lachen. Toll war hingegen, daß in einem DDR-Propagandabuch, das er mal rumgab, eine Schund-und-Schmutz-Literatur-BRAVO-Seite mit den Top-ten des Jahres 1983 abgebildet war. Das war wirklich das einzige, was mich in seinem Wehrkundeunterricht begeistert hatte.
    Einige Zeit später fanden in der Schule die »Tage der Wehrbereitschaft« statt. Der letzte Tag wurde gekröntmit einem 14 Kilometer langen Orientierungsmarsch durch den nahe gelegenen Auewald mit einzelnen Stationen. Kompaß lesen, tarnen und anschleichen, Minenattrappen suchen, marschieren und über ein klitzekleines Rinnsal hangeln, in das trotzdem immer wieder welche reinfielen – was für ein Gaudi. Natürlich wurden überall Punkte vergeben, und die beste Klasse unserer Schule sollte am Ende ausgezeichnet werden. Es war vorgegeben, daß wir in Marschformation auf das Schulgelände zurückkehren sollten – auch das wurde natürlich bewertet. 50 Meter vor der Schule stellten wir uns auf dem Fußweg der Hardenbergstraße also in Marschordnung auf – in Dreierreihen – und marschierten im Gleichschritt zurück. Niemand von uns fand das irgendwie sinnvoll, aber es mußte eben gemacht werden um des lieben Friedens willen – in doppelter Bedeutung. Jemand aus der Klasse fand, daß wir unser Erscheinungsbild noch verbessern könnten mit dem Anstimmen eines alten Pionierliedes aus der ersten Klasse:
    Soldaten sind vorbeimarschiert im

Weitere Kostenlose Bücher