DJ Westradio
Original-Maxi-Singles zu Hause. Die drei hatten noch keine Karten und wollten versuchen, direkt vor der Halle auf dem Schwarzmarkt welche zu kaufen.
In Berlin angekommen, verabschiedeten wir uns. Sie wollten gleich zur Halle, ich mußte noch nach Mitte zu den Zwillingen. Hoffentlich hatte das mit der Karte geklappt. Auf dem S-Bahnsteig kamen mir wieder zwei schwarzgekleidete Dave Gahans entgegen. Wir grinsten uns an. »Bis heute abend«, grüßten sie mich. Wir waren brothers in mind . Endlich aus der S-Bahn raus, endlose zehn Minuten Fußweg bis zum Haus der Götzens-Zwillinge. Klingeln. Markus kam mir in der Hofdurchfahrt entgegen. Jetzt wurde es spannend. »Hat es geklappt?« fragte ich mit letzter Kraft. Augen zukneifen, Luft anhalten, Daumen drücken! »Klar«, sagte er und grinste mich an. JAAA! Erleichterung. In ihrem Zimmer hielt ich wenig später den Schatz in meinen Händen. Meinen Schatz! Die Karte sah potthäßlich aus, von Depeche Mode stand auch nix drauf. Machte nichts, wirwußten Bescheid. »FDJ-Geburtstagskonzert, Eintritt 15 Mark«. Ich bezahlte die 150 Mark, die Daniel zuvor ausgelegt hatte. Eine gigantische Summe für einen Schüler, aber das sollte es mir wert sein.
Nun noch schnell ins Bad, die Haare frisch gestylt, und dann zur Straßenbahn. Die Zwillinge kamen mit bis zur Halle. Sie hatten keine Karten mehr bekommen, und mit den noch schnell eingesteckten 200 Ostmark machten sie sich auch keine großen Hoffnungen, auf dem Schwarzmarkt noch zwei zu bekommen. Alle fünf Minuten kontrollierte ich, ob meine Karte noch da war. Vor der Halle sah ich Massen von Jugendlichen und jede Menge Polizei. Wir verabschiedeten uns, und ich bahnte mir den Weg zum Eingang. Irgendwo tummelten sich auch einige Skinheads. Später stimmten sie ein umgedichtetes Pionierlied an: »Fröhlich sein und singen, Gruftis in die Fresse springen.«
Die Veranstalter hatten dem zu erwartenden Ansturm von kartenlosen Fans vorgebeugt. Zuerst mußte ich durch eine Ordnerkette, dann kam ein Zaun, dann ein großer Stahlzaun, dann der Halleneingang und schließlich der Saaleingang. Endlich war ich drin! Findet hier wirklich heute ein Depeche-Mode-Konzert statt? Wo waren die Geburtstag feiernden FDJler mit ihren blauen Hemden? Ich sah nur Dave Gahans und Martin Gores. Mir wurde klar, in den letzten Tagen mußte es in Berlin eine große Umverteilung der Tikkets gegeben haben. Nur ganz wenige Blauhemden blinkten zwischen den Schwarzgekleideten.
Ich lief wie betäubt rum, gab artig meine Jacke an der Garderobe ab und stellte mich im Saal in die Nähe des Mischpultes. Direkt vor der Bühne war es eng wie ineiner Sardinenbüchse. Die Bühnendekoration kannte ich aus der BRAVO, und sie ließ keine Zweifel mehr: Hier fand ein Depeche-Mode-Konzert der aktuellen »Tour for the Masses« statt. Aus den Boxen kam Musik von New Order. Gegen 19 Uhr ging das Licht aus. Die Massen flippten aus. Geschrei ohne Ende. 6 000 Leute im Saal. Doch halt! Es gab eine Vorband mit zwei entscheidenden Nachteilen: Sie kam aus dem Osten, und sie kam aus dem Osten. Ihre Musik war deswegen und auch so scheiße. Die wollte niemand hören oder sehen. Spießrutenlauf für die Musiker. Wir riefen ohne Pause: »Depeche Mode!« Jemand warf einen Apfel auf die Bühne. Nach 20 Minuten hatten wir es überstanden. Wieder warten. Ein Moderator kam auf die Bühne. Er sagte, daß es gleich losgehen würde und daß man nicht rauchen dürfe. Letzteres interessierte niemanden. Kurz nach 20 Uhr ertönte das den Fans bekannte Intro »Pimpf« aus den Boxen. Zuerst herrschte eine merkwürdige Stille im Saal, so als ob es noch keiner richtig fassen könne, was jetzt gleich passieren würde. Die Bühne war durch einen Vorhang verdeckt, und man sah die Band zunächst nur schemenhaft. In der Mitte des ersten Songs »Behind the Wheel« verschwand auch dieser, und der Blick auf unsere Idole war endlich frei. Ein ekstatisches Kreischen tönte aus 6 000 Kehlen. So eine Gänsehaut hatte ich zuvor noch nie gehabt. Nicht wenige Fans hatten Tränen in den Augen. Depeche Mode und wir – jetzt waren wir endlich unzertrennlich –, zumindest für die nächsten zwei Stunden. »Good evening East-Börlin«, rief Dave in den Saal. Wir rasteten komplett aus. So viel Freude. So viel Glück! Depeche Mode! Bei uns! Und ich mittendrin! Und ohne dasWissen, welches der ESP-Lehrer heute meiner Klasse vermittelt hatte.
Zum wild Tanzen war kein Platz, dazu standen alle viel zu dicht beieinander. Aber die
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