DJ Westradio
wirtschaftlichen Vorteil entstanden auch echte Freundschaften und nicht wenige Lust- und Liebesbeziehungen – Ost und West vereint für einige Tage.
Immer samstags rollten sie ein. Mercedes, Audi und VW parkten dann zwischen den Trabants und Wartburgs. Ein Porsche konnte in der Innenstadt schon mal einen mittleren Menschenauflauf verursachen, sehr zur Freude des Besitzers, denn drüben konnte er damit nur bedingt angeben – hier hingegen grenzenlos. In der Schule waren wir zuvor noch belehrt worden, die Besucher nicht nach Süßigkeiten anzubetteln, sich nicht die Nase an den Westautos plattzudrücken und keine Mercedes-Sterne abzubrechen, weil das keinen guten Eindruck von den Kindern in der DDR machen würde. »Aber Herr Lehrer, das haben wir doch gar nicht nötig – wir haben doch Messegäste!«
Die Messe fand an zwei Orten statt: zum einen auf dem Technischen Messegelände im Südosten der Stadt, zum anderen direkt in der Innenstadt in den Messehäusern, welche zur Jahrhundertwende erbaut worden waren. Den Rest des Jahres standen sie im übrigen leer. Von der Messe hatten alle etwas. Besonders die, die dort arbeiteten. Selbst Klofrauen bekamen von freundlichen Geschäftsleuten mal eine Tafel Schokolade oder Kölnisch Wasser in die Hand gedrückt. Auch der Fahrstuhlführer (so was gab es damals noch) wurde mit einer Stange Westzigaretten und Dosenbier versorgt. Überall herrschte Weihnachtsstimmung. Sankt Martin in allen Gängen. Weil die Westfirmen Unmengen von Nahrungs- und Genußmitteln mitbrachten, hatten es einheimische Standhilfen besonders gut, denn sie saßen an der Quelle. Was übrigblieb und nicht an die Ostgeliebten der Westfirmenmitarbeiter verschenkt wurde, trugen sie nach Hause. Ich weiß das, weil meine Mutter auch als Standhilfe arbeitete und es anschließend beiuns zu Hause einige Tage lang Westsaft und Schweppes-Limonade zu trinken gab. Das fand ich unheimlich fetzig. Trotzdem habe ich das Fruchtfleisch aus dem Granini-Orangensaft mit einem Sieb herausgefiltert. Was hatte das denn im Saft zu suchen?
Messeonkel
Auch wir beherbergten zweimal im Jahr einen Freund der Familie als Messegast. Dieser arbeitete für eine Hannoversche Chemiefirma. Meine Eltern hatten ihn nach meiner Geburt gleich zu meinem Patenonkel ernannt. Er war immer gutgelaunt, von kräftiger Statur, hatte einen dunklen Anzug an, roch angenehm nach »TABAC Original«, fuhr einen dunkelblauen Audi 80 und sprach einen ganz anderen Dialekt als die Leute hier in Leipzig. Eigentlich hatte er überhaupt keinen Dialekt, schließlich kam er ja aus Hannover. Aber er hatte so etwas Taffes in der Sprache und im Gestus wie alle anderen Wessis auch (damals sagte man noch »Bundis«). Das fand ich toll. Das erinnerte an Westfernsehen. Kein Wunder, denn er kam aus dem Westen.
Mit der Zeit merkte ich, daß sich in seinen schicken Samsonite-Hartschalenkoffern eine Menge Sachen für uns befanden, besonders für mich, ich war immerhin das Kind, sein Patenkind. Er sammelte vor jedem Leipzig-Besuch bei seinen Familienvater-Kollegen nicht mehr gebrauchte Machtbox-Autos und Playmobil-Figuren, Comics und Klamotten ein, und die warteten dann in seinem Gepäck auf mich. Und ich wartete auch. Ungeduldig. Darauf, daß endlich ausgepackt wird, wie zu Weihnachten. Besondere Qualen mußte ich erleiden, wenn er vormittags anreiste, nur kurz das Gepäck abstellte, gleich auf die Messe eilte und ich bis zum Abend nur um die Koffer schleichen konnte.Manchmal drückte er mir noch schnell ein Asterix-Heft mit der Bemerkung in die Hand, daß es abends noch was gäbe. Argh, was für endlose Stunden, bis ENDLICH Onkel Friedel mit meinen Eltern in der Küche saß, das Abendbrot ENDLICH vorbei war und ENDLICH die Koffer geöffnet wurden. Ganz unschuldig saß ich in meinem Zimmer und lauschte angespannt, wie er mit seinen Tüten im Nachbarzimmer raschelte. Westcomics und Westspielsachen, Westklamotten und Westsüßigkeiten – alles viel bunter und toller, als ich es von hier kannte. Heute mag das albern klingen, aber als Kind habe ich das so gesehen. Und die Erwachsenen sahen das, glaube ich, genauso.
Einmal hatten die DDR-Zöllner unseren Messegast ausgiebig an der Grenze gefilzt und ein gutes Dutzend Micky-Maus-Hefte sowie ein Spiegel-Magazin für meine Eltern beschlagnahmt. Die Einfuhr westlicher Druckerzeugnisse war generell verboten, denn die DDR-Führung hatte die nicht unbegründete Angst, daß wir dadurch alle versaut werden würden. Da er die Hefte nicht
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