DJ Westradio
Über neue Frisuren wurde ausführlich hinterm Rücken der betreffenden Person abgelästert, angeblich gesehene Erwachsenenfilme im Samstagsspätprogramm auf ARD und ZDF wurden tagelang ausgewertet, oder es wurde über anstehende Klassenfahrten gesprochen. Natürlich haben wir uns nicht immer alle gleich gut miteinander verstanden, mal fand man die doof, mal den nett. Aber die eigene Klasse war und ist ein wichtiger emotionaler Bezugspunkt, und das finde ich großartig. Besonders deutlich wird das heute bei Klassentreffen. Man hat sich zehn Jahre nicht gesehen und schwatzt miteinander, als wenn man gerade letzte Woche den Schulabschluß gefeiert hätte. Und erstaunlicherweise sitzt man bei solchen Treffen mit genau denselben Leuten am Tisch, mit denen man auch damals abgehangen hat. Und dann gibt es ehemalige Mitschüler, mit denen man sich all die Jahre irgendwie nie etwas zu sagen hatte, und trotzdem fühlt man sich mit ihnen verbunden. Hat uns die DDR-Schule etwa unbewußt doch zu sozialistischen Gemeinschaftsmenschen erzogen? Binich am Ende gar nicht der individualisierte, geheime Bundesbürger in Leipzig gewesen, der ich glaubte zu sein? Oder ist das einfach nur sentimentale Scheiße?
In unserer Klasse gab es sie sozusagen, die klassenlose Gesellschaft. Denn es zählte vor allem, wer du warst, und nicht, was du hattest. Nun ja, wenn ich ehrlich bin, haben wir natürlich die Typen, die irgendwie Sprallis waren, geschnitten, aber ihre soziale Herkunft spielte dabei keine große Rolle. Bei der Festigung des eigenen sozialen Status war es viel wichtiger, daß man sich nicht mit jüngeren Schülern aus den unteren Klassen abgab, auch wenn sie noch so tolle Westsachen hatten. Das war absolut uncool. In den ersten Schuljahren konnte man außerdem seinen Stand dadurch erhöhen, daß man ältere Schüler aus den höheren Klassen kannte, die einem bei den zahlreichen kleineren Prügeleien auf dem Pausenhof aus der Patsche helfen konnten. Mit einem großen Bruder in der Rückhand konnte man sich darum fast alles erlauben. Ich war in dieser Hinsicht als Einzelkind benachteiligt. Aber wir hatten ja auch innerhalb unserer Klasse einige schlagkräftige Banden, die man notfalls bei Auseinandersetzungen mit hinzuziehen konnte.
Alle meine Mitschüler an dieser Stelle aufzuzählen würde nur Chaos anrichten, darum will ich mich auf einige wenige beschränken: Thümi hieß eigentlich Steffen Thüm, aber damals machte man aus allen möglichen Namen solche Spitznamen mit einem »i« hinten dran, darum Thümi. Klingt ja auch besser als »Steffi« für einen Jungen. Thümi hatte vier Tage nach mir Geburtstag und war mir deshalb schon sympathisch. Außerdem war er ähnlich kleingewachsen wie ich. Mit den Schuljahrenwurde er ein wenig aufmüpfiger gegenüber den Lehrern, was sich dann in seinen Kopfnoten niederschlug. Wir verstanden uns trotzdem prima. Sportlich war er mir um einiges voraus. Er spielte in seiner Freizeit Fußball, und wenn wir im Sportunterricht auch mal kickten, rannte er allen davon. Das war deprimierend für mich, ich blieb in der Folgezeit ein eher unsportlicher Typ.
Da war ich in bester Gesellschaft mit Rüdi, der eigentlich Rüdiger Buschner hieß. Rüdi wohnte nur eine Straße von mir entfernt, wo er sich mit seinem zwölf Jahre älteren Bruder ein zehn Quadratmeter großes Zimmer teilte. Besonders im Sport waren wir brothers in mind . Außerdem hatte er auch eine Westoma, Lego-Spielzeug und Comics.
Jörg Naundorf, den wir bald nur noch »Nauni« nannten, war ein immer gutgelaunter hagerer Typ. Mit Nauni analysierte ich in den Folgejahren ständig die Attraktivität der Mädels an unserer Schule, und wir stellten interne Hitparaden auf.
Was die Umgestaltung meines Namens anging, hatte ich »Glück«, da Sascha schon mein mitgebrachter Spitzname war. So wurde ich nicht in »Alex« oder »Langi« umgetauft. Außerdem gab es in unserer Klasse noch Schubi, Svenni, Günni, Dirki, Künni, Conny, Andi und einige, an deren Namen man beim besten Willen kein »i« hinten ranbekam.
In der 1. Klasse lief ich immer mit Beate nach der Schule nach Hause, denn wir hatten den gleichen Schulweg. Damit dieser nicht zu langweilig wurde, sagte ich ihr den Text meiner ersten Westhörspielkassette »Wie die Schlümpfe Schlagerstars wurden« auf. Ich hatte sieso oft gehört, daß ich sie komplett auswendig konnte. Eine Begabung, die in den folgenden Schuljahren stark verkümmerte, denn beispielsweise das Auswendiglernen von
Weitere Kostenlose Bücher