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Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kuschnarowa
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gleichen Raum die gleichen zwanzig Schritte vor und die gleichen zwanzig Schritte zurück zu gehen. Aber ich konnte vor Julian nicht meine Seele auswickeln, wenn ständig die Wortfetzen der anderen herüberdrangen und der Beamte sich aus den Gesprächen herausgriff, was ihn interessierte.
    Ich hatte das Gefühl, um mein Leben reden zu müssen. Keine Ahnung, was ich sagte. Irgendwie wollte ich Julian beschwören, ihn festhalten, ihn in eine andere Richtung locken, damit er mir nicht vollends entglitt. Täglich strich ich den vergangenen Tag ab. Hoffentlich würde Julian rechtzeitig rauskommen, ehe er die Tür in seine neue Welt endgültig hinter sich geschlossen haben würde. Ohne mich. Ja, natürlich war da noch unsere Verbindung, aber täglich wurde sie dünner, durchsichtiger. Beginnende Fadenscheinigkeit.
    Aber endlich – Land in Sicht. Nur noch zwei Wochen, eine. Sechs, fünf, vier, ein Tag. Cut. Endlich.
    Pünktlich um drei stand ich vor dem Tor und wartete auf Julian. Als er, seine Sporttasche über der Schulter, herausmarschiert kam, schien er zu leuchten und als er mich sah, da leuchtete er noch mehr, rannte auf mich zu und wirbelte mich durch die Luft und küsste mich und hörte gar nicht mehr auf, mich zu küssen. In diesem Moment zerfiel diese Knochenhand Angst, die seit fast drei Monaten mein Herz zerquetschte, urplötzlich zu Staub, und ich schmiegte mich an ihn, sein Geruch hüllte mich ein. Endlich war ich wieder ich, endlich konnte ich wieder frei atmen.
    Hand in Hand rannten wir los, nur um alle paar Meter wieder stehen zu bleiben und uns zu küssen, und eigentlich hatten wir ein bisschen an der Spree entlangstreunen wollen, doch genau genommen sehnten wir uns nach etwas ganz anderem. Und deshalb gingen wir schnurstracks in Julians Bude und liebten uns die ganze Nacht und ich bin mir nicht sicher, ob diese Nacht nicht vielleicht doch noch viel schöner war als unsere erste.

»Keiner von euch ist wirklich gläubig, bevor er nicht seinem Glaubensbruder das wünscht, was er für sich selbst erhofft.«
   Al-Buhari, Die Sammlung der Hadithe

Was hatte ich mich gefürchtet davor, wieder draußen zu sein. Vor allem am letzten Tag. Am liebsten hätte ich mich unter Murats Teppich als winziges Staubflöckchen, oder besser noch, als unsichtbares Elementarteilchen, zusammengerollt.
    Aber auf einmal lief alles rund. Ich hatte die coolste Braut der Welt und ich hatte Murat meine Nummer gegeben, damit er, wenn er rauskam, anrufen konnte, und jetzt war ich auf einmal wieder mittendrin in allem.
    Schon nach zwei Tagen erschien mir der Knast so weit weg wie nur irgendwas. Ein blöder Traum. Sonst nichts. Und ich fühlte mich so was von neugeboren.
    Ich hatte im Knast lange darüber gegrübelt, wie es mit »Gangsta’s Ghost« weitergehen sollte und da ich den neuen Laptop, den Romea mir geschenkt hatte, nicht benutzen durfte, hatte ich nichts, womit ich hätte Musik machen können. Also hatte ich wenigstens Texte geschrieben. Neue Texte. Dutzende. Texte, die so überhaupt nichts mit den Texten zu tun hatten, die ich früher geschrieben hatte. Die Gebete mit Murat hatten mich inspiriert und auf ganz neue Ideen und Gedanken gebracht. Goodbye, Westcoast. Ich wusste nur nicht so recht, wie ich das den Jungs beibringen sollte. Die waren eh sauer, weil durch meinen Knastaufenthalt all unsere Auftritte hatten abgesagt werden müssen. Aber ich, ich war so berauscht von meiner Freiheit, dass mir gerade alles möglich schien. Nur von der Mucke leben? Kein Ding, Alter.
    Derart aufgekratzt erschien ich ein paar Tage später bei Buddy und den Jungs, die noch immer halb stinkig auf mich waren und sich halb darüber freuten, mich endlich wiederzusehen.
    High Five. Was geht, Alter? Damit war dann irgendwie das Eis auch schon gebrochen. Und dann hielt ich die größte Erneuerungsrede, die die Welt je gehört hatte.
    »Wir müssen endlich mal von diesem Westcoast-Gedöns wegkommen. Also nicht von der Mucke, sondern von den Texten. Mann, wir sollten uns langsam daran gewöhnen, dass wir nun mal keine Westcoast-Gangstas sind, sondern mehr so was wie German-Eastside-Loser. Das wär doch auch ein geiler Bandname.«
    »Ja. Wahnsinnig cool. Klingt wie German Liedermaching«, sagte Mariachi. »Ich versteh dich nicht. Jetzt bist du doch ein verurteilter Gangsta. Was, bitte schön, gefällt dir denn jetzt schon wieder nicht mehr an ›Gangsta’s Ghost‹? Wenn ich erinnern darf, das Ganze war deine Idee.«
    Ja, das stimmte, aber

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