Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
Zahlenkolonnen gestoßen, die sie nicht deuten konnte. Was ihr weitaus rätselhafter erschien: Es tauchten häufig Vermerke unter dem Stichwort ›Kolumbus‹ auf. Vermerke, die jeweils in unmittelbarer Nähe zu den verwirrenden Zahlenkaskaden aufgeführt und keinen Deut verständlicher waren. Sina gewann den Eindruck, als hätten die Verfasser besagter Eintragungen buchstäblich um den heißen Brei herumgeredet. Das einzige, was ihr bei der Interpretation der ›Kolumbus‹-Aufzeichnungen weiterhalf, waren Zeichnungen, die sie zusammen mit den Tabellen gefunden hatte. Diese ließen sich schwerlich verschlüsseln; deshalb lag auf der Hand, was sie darstellten: Es waren Antriebsmodule. Triebwerke. Vorläufer von Raketen.
    Die Betonung lag auf dem Plural. Denn Sina fiel auf, dass in den ›Kolumbus‹-Akten von mehreren Raketen die Rede war. Wenigstens zweimal hatten die Konstrukteure in diesem Zusammenhang die Mehrzahl angewandt. Hatte das eine Bedeutung? Oder war es ein Versehen, eine Nebensächlichkeit, völlig belanglos?
    Von Hitlers ›Wunderwaffe‹, der einstufigen V2-Rakete, hatte sie gehört. Sina selbst hatte ein Exemplar dieses todbringenden Ungetüms aus Peenemünde im Deutschen Museum in München gesehen. Die V2 – also – das wäre eine Sache. Hinter den V2-ähnlichen Flugkörpern in der Akte ›Kolumbus‹ aber musste sich etwas anderes verbergen. Wahrscheinlich eine weitergehende Entwicklung. Eine Studie, die es niemals bis zur baufertigen Reife geschafft hatte. Wahrscheinlich.
    Die Gedanken an die undurchschaubaren ›Kolumbus‹-Notizen ließen Sina auch während der Fahrt nicht los. Sie grübelte darüber nach. Sie kramte gedanklich all ihr Wissen über die V2-Rakete zusammen. Und sie dachte daran, welche politischen Ziele die Nazis verfolgt hatten. In der Zeit, als ihr Untergang bereits besiegelt war.
    Rache. Ja, Rache, das war das Einzige, was diese Menschen kurz vor ihrem sicheren Garaus noch beschäftigte. Darauf hatten sie am Schluss all ihr Trachten konzentriert. Rache an allen, die sich ihren Vorstellungen widersetzt hatten. Und Rache vor allem auch an dem Land, das letztlich den Ausschlag für den Niedergang des Naziregimes gegeben hatte – Amerika!
    ›Kolumbus‹? In Sinas Kopf formte sich langsam ein klareres Bild. Sie begann zu ahnen, worauf sie da in den verstaubten, vergessen geglaubten Aktenordnern gestoßen war. Mit stumpfem Blick starrte sie durch die Frontscheibe des VW-Busses. Sie war nahe dran, ihrer Freundin von ihren Gedanken zu erzählen. Sie wollte ihr von den ›Kolumbus‹-Akten berichten. Und natürlich von dem Zeitungsartikel, der sie so beschäftigte.
    Aber: Wie sollte sie Gabriele aufgrund ihrer Beklemmung umstimmen können? Von einem vergilbten Zeitungsartikel hätte sich ihre Freundin wohl kaum erschrecken lassen. Wahrscheinlich wäre sie mit dem Argument gekommen, dass ihnen bei ihrem ersten Abstieg in den Bunker ja auch nichts passiert war. Ansonsten könnte sie auf die Gasmasken verweisen, die den Frauen von ihren früheren Exkursionen noch zur Verfügung standen. Kurz und gut: Gabriele würde überhaupt nicht auf Sinas Einwände hören.
    »Willst du eigentlich die ganze Fahrt über vor dich hin grübeln?«, riss Gabriele sie aus ihren Gedanken.
    Sina war baff: »Was? Ich? Du bist es doch, die die ganze Zeit nichts sagt.«
    »Stimmt«, entgegnete Gabriele. »Aber nur, weil ich dich bei deinen Überlegungen nicht stören wollte. War ja unschwer zu erkennen, dass dich irgendwas bewegt. Da wollte ich dich halt eine Weile in Ruhe deinen Gedanken nachhängen lassen. Aber nun ist Schluss damit. Leg irgendeine nette Musik auf. Oder erzähl mir ein paar Witze. Nur mach endlich was – mir ist schrecklich langweilig.«
    Das war typisch für Gabriele: völlig unkalkulierbar! Sie hatte Sina kalt erwischt. Einige lange Sekunden verstrichen, bis diese reagieren konnte. Dann beschloss sie, überhaupt nicht auf ihre düsteren Gedanken zu sprechen zu kommen. Warum auch? Sie würde sowieso nur ein nachsichtiges Lächeln ihrer Freundin ernten.
    Ohne ein Wort zu verlieren, suchte Sina eine Musikkassette heraus. Die letzte von Mick Jagger. Sina schob sie ein und drehte den Lautstärkeregler bis knapp unter Maximum.
    Gabriele verzog keine Miene.

34
    Auf der Insel Usedom war der Frühling eingezogen. Kaum zu glauben, aber in den paar Tagen, die Gabriele und Sina nicht hier gewesen waren, hatte die Natur einen gewaltigen Satz nach vorn gemacht. Die milde Witterung ließ das Grün

Weitere Kostenlose Bücher