Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
der dritten Ebene. Gabrieles Augen wanderten suchend über die Skizze, blieben aber nirgends hängen. Sina beschloss, der Älteren auf die Sprünge zu helfen. Sie fuhr mit ihrer Hand übers Blatt und tippte mit ihren pink lackierten Fingernägeln energisch auf ein fein gezeichnetes Quadrat. »Siehste das nicht? Die kleine Kammer? Lies mal, was daneben steht.«
Gabriele beugt sich vor, um die winzige Schrift entziffern zu können. »Tro… nein, Tra… nein, das gibt’s doch nicht.« Gabriele starrte Sina baff an.
Diese lehnte sich stolz zurück. »Doch, das gibt’s. Ich habe es ja gesagt: Heute ist mein Glückstag. Da steht – Tresorraum.«
33
Sinas Elan war längst verflogen, als sie neben Gabriele im laut dröhnenden VW-Bulli kauerte und dumpf in die Gegend starrte. Zum einen unterschied sich diese Fahrt in den Norden in nichts von ihrer ersten Tour: Denn Gabi saß genauso muffelig und wortlos hinterm Steuer und trieb den betagten Motor zu Höchstleistungen an. Zum anderen gab es eine Menge anderer Gründe, die Sina gründlich die Laune verdorben hatten.
Das hatte bereits damit angefangen, dass Sina nach ihrem so erfolgreichen Stöbern in den Bunkerakten nach Hause ging und dort über einen Haufen unerledigter Post gestolpert war. Zu allem Überfluss hatte ihr geschätzter Ex auch das Band ihres Anrufbeantworters vollgesprochen. Kaum hatte sie sich davon erholen wollen und in der Küche ein paar frische Orangen auspressen, war ihr der Wandkalender ins Auge gefallen: Dort hatte sie klar und deutlich gelesen, dass eben nicht der 13. des Monats war, sondern doch schon der 14. Das hatte ja noch gefehlt. Aberglaube hin oder her – Sina wurde schlagartig unwohler in ihrer Haut.
Sie wollte sich nur noch faul in ihren Sessel fallen lassen. Unter dem Motto: Nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Aber sie hatte genau gewusst, dass sie am nächsten Morgen wieder pünktlich auf der Matte stehen musste. Gabriele hätte da kein Pardon gekannt. Also raffte Sina sich auf, um ihre Sachen für die Reise zu packen. Eine neue Tube Duschgel, den Fön, den sie beim letzten Mal glatt vergessen hatte und Unterwäsche für eine Woche. Und weil sie einmal dabei war, wollte sie einige Unterlagen durchforsten, die sie in den Monaten nach der Grenzöffnung gesammelt hatte. Sie erhoffte sich daraus mehr Aufschluss über den mit Elektronik vollgestopften Raum im Bunker – für den Fall, dass ihr Gabi überhaupt die Zeit dafür gab, noch einmal in diesen Raum zu gehen.
Tja, und wie es der Teufel wollte: Beim Durchsuchen dieser Unterlagen stieß sie auf einen alten Zeitungsartikel, dessen Inhalt ihr für diesen Tag den Rest gab. Es war ein alles andere als beruhigender Text:
»Abenteuer mit tödlichem Ende«
So lautete die Überschrift des Berichts, den Sina vor Monaten aus der Tageszeitung gerissen und zunächst nur aus einer vagen Ahnung heraus abgeheftet hatte. Der weitere Text war nicht weniger entmutigend:
Die Suche nach dem Abenteuer in einem alten Stollensystem der deutschen Wehrmacht nahe des nordfranzösischen Rouen hat drei Jugendlichen und sechs Erwachsenen, die die jungen Leute retten wollten, das Leben gekostet «, las sie leise vor sich hin. Und weiter: » Sie starben an einer ungewöhnlich hohen Konzentration von Kohlenmonoxid, die sich noch niemand erklären kann. Ältere Einwohner berichteten, die Deutschen hätten die verzweigten unterirdischen Gänge im Zweiten Weltkrieg zur bombensicheren Lagerung von V2-Geschossen und Behältern mit Artilleriemunition genutzt. Das Höhlensystem war deshalb immer wieder Anziehungspunkt für Kinder, Jugendliche und Hobbyforscher. Niemand hatte sich offenbar Gedanken über die damit verbundenen Gefahren gemacht. «
Nun saß Sina neben ihrer Freundin und überlegte, ob sie ihr von dem Artikel erzählen sollte. Denn was diesen armen Menschen in Frankreich passiert war, konnte Gabi und ihr ebenso zustoßen. Immerhin hatte ihr Bunker in Peenemünde auch etwas mit dieser Rakete V2 zu tun. Mehr noch: Von Peenemünde aus wurden diese Teufelsdinger gestartet, dort wurden sie entworfen, teilweise auch gebaut. Wer weiß, welche chemischen Prozesse sich im Laufe der Jahrzehnte in den unterirdischen Anlagen der Ostseehalbinsel abgespielt hatten? Und wer konnte ausschließen, dass sich nicht auch dort giftige Gase angesammelt hatten?
Und es gab noch etwas, das Sina beunruhigte: Beim Studium der Akten aus dem Bunker war sie nicht nur immer wieder auf mysteriöse
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