Doch die Sünde ist Scharlachrot
selber brauche, kannst du dort mit ihm sprechen.«
Daidre glaubte nicht, dass Max seinen Computer gerade wirklich benötigte, aber sie erhob keine Einwände. Sie wollte mit der Sache nichts zu tun haben, wollte auch nicht, dass ihr Name, ihr Foto, die Lage ihres Cottages oder irgendwelche anderen persönlichen Informationen über sie in der Zeitung standen, aber sie sah keinen Weg, das zu verhindern, ohne Max' Argwohn zu wecken. Also willigte sie ein. Sie brauchte den Internetzugang, und hier hatte sie mehr Zeit und war ungestörter als an dem einzigen Computerarbeitsplatz in der Bücherei. Sie gestand sich ein, in dieser Hinsicht fast schon paranoid zu sein, aber ihrer Verfolgungsangst nachzugeben, schien ihr die klügste Vorgehensweise zu sein.
Sie begleitete Max also ins Layout und nutzte die Gelegenheit, ihm einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Sie wollte ergründen, was sich hinter seiner gelassenen Miene verbarg. Genau wie sie ging auch er gern auf dem Küstenpfad spazieren. Mehr als einmal war sie ihm auf dieser oder jener Klippe begegnet, der Hund seine einzige Begleitung. Beim vierten oder fünften Mal hatten sie darüber gewitzelt und vereinbart: »Wir sollten uns auch mal woanders treffen.« Und sie hatte ihn gefragt, warum er so oft die Küste entlangwanderte. Er hatte geantwortet, Lily habe Spaß daran, und er selbst sei gern allein. »Einzelkind«, hatte er erklärt. »Ich bin das Alleinsein gewöhnt.« Aber sie hatte nie geglaubt, dass das die ganze Wahrheit war.
An diesem Tag war sein Ausdruck unergründlich. Nicht dass er je sonderlich leicht zu lesen wäre. Wie üblich sah er aus, als wäre er einem Artikel in der Country Life über das Leben in Cornwall entsprungen: Der Kragen seines gestärkten blauen Hemdes schaute aus einem cremeweißen Seemannspulli, er war glatt rasiert, und seine Brille funkelte im Licht der Deckenleuchten – so makellos wie alles andere an ihm. Ein Mann in den Vierzigern, tugendhaft und frei von Schuld.
»Hier hätten wir unsere Zielperson, Steve«, sagte er, als sie den Layout-Raum betraten, wo der Reporter an einem PC in der Ecke arbeitete. »Sie hat sich zu einem Interview bereit erklärt. Zeig keine Gnade mit ihr!«
Daidre warf ihm einen Blick zu. »Du klingst, als wäre ich irgendwie in die Sache verwickelt.«
»Du warst nicht gerade überrascht, geschweige denn entsetzt, als du gehört hast, dass es Mord war«, erwiderte Max.
Sie sahen einander in die Augen. Daidre wägte mögliche Antworten ab und sagte schließlich: »Ich habe den Leichnam gesehen, vergiss das nicht.«
»Und, war es denn so offensichtlich? Zuerst hieß es doch, er wäre abgestürzt.«
»Ich glaube, genau so sollte es auch aussehen.« Sie hörte Teller auf seine Tastatur einhämmern und fuhr ein wenig zu scharf fort: »Ich habe nichts davon gesagt, dass das Interview bereits begonnen hat.«
Max winkte ab. »Du befindest dich in Gesellschaft von Journalisten, meine Liebe. Wir stürzen uns auf jeden Happen. Du warst schließlich vorgewarnt.«
»Verstehe.« Sie nahm Platz, und sie wusste, es sah affektiert aus, wie sie auf der Kante eines Stuhls mit Sprossenlehne thronte, der kaum unbequemer hätte sein können. Sie hielt die Handtasche auf dem Schoß, die Hände darüber gefaltet. Wahrscheinlich sah sie aus wie eine Gouvernante oder eine hoffnungsvolle Bewerberin. Sie versuchte erst gar nicht, diesen Eindruck zu zerstreuen, und bemerkte: »Ich kann nicht sagen, dass ich besonders glücklich hierüber bin.«
»Das ist nie jemand – außer vielleicht zweitklassige Promis.« Damit verließ Max den Raum und wandte sich anderen Dingen zu. »Janna, haben wir schon den genauen Termin der Untersuchung?« Doch Daidre hörte Jannas Antwort nicht mehr, denn Steve Teller hatte sich vor ihr aufgebaut und kam sofort zur Sache. Zunächst wolle er die Fakten, dann ihre Eindrücke, erklärte er. Letztere werde sie mit Sicherheit niemandem anvertrauen, beschloss sie, erst recht keinem Journalisten. Aber wie ein Polizist war er wahrscheinlich darauf getrimmt, Ungereimtheiten und Widersprüche aufzuspüren. Sie musste sich also vorsehen, was sie sagte – und wie sie es sagte. Sie überließ nicht gerne irgendetwas dem Zufall.
Sie hielt sich insgesamt zwei Stunden in den Watchman- Räumen auf, etwa eine Stunde im Gespräch mit Teller und eine weitere in Internetrecherche vertieft. Als sie das, was sie suchte, gefunden und ausgedruckt hatte, um es später in Ruhe lesen zu können, gab sie als letzten
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