Doch die Sünde ist Scharlachrot
Nacht nicht von Belang sein dürfen. Eine Party mit seinen Kumpeln, mehr nicht. Er wäre nicht einmal hingegangen, hätte er nicht zwei Tage zuvor den Mut aufgebracht, sich von Dellen Nankervis zu trennen – wieder mal. Nur deshalb war er niedergeschlagen gewesen; sein Leben, so hatte er geglaubt, ein Trümmerfeld. »Du brauchst Ablenkung«, hatten seine Freunde befunden. »Dieser Parsons-Wichser gibt eine Party. Alle sind eingeladen, also komm mit. Damit du ausnahmsweise mal an was anderes denkst als an die blöde Schlampe.«
Doch das hatte sich als unmöglich erwiesen, denn auch Dellen war dort gewesen: in einem leuchtend roten Sommerkleid und hochhackigen Sandalen. Wohlgeformte Waden, gebräunte Schultern, langes, dichtes blondes Haar und Augen blau wie Vergissmeinnicht. Siebzehn Jahre alt, mit dem Herzen einer Sirene, war sie allein gekommen, aber das war sie nicht lange geblieben. Wie eine Flamme war sie gekleidet gewesen, und wie eine Flamme hatte sie sie angelockt. Nicht etwa seine Kumpel – die hatten gewusst, welche Gefahr Dellen Nankervis darstellte: wie sie köderte, die Falle zuschnappen ließ, und was sie dann mit ihrer Beute tat. Also waren sie auf Distanz geblieben. Aber die anderen Gäste nicht. Und Ben hatte zugesehen, bis er es nicht mehr ertragen konnte.
Er hatte ein Glas vor sich; also leerte er es. Irgendjemand drückte ihm eine Pille in die Hand, und er schluckte sie. Ein Joint wurde herumgereicht, also rauchte er. Es war ein Wunder, dass er an der Mischung all dessen, was er sich in jener Nacht eingefahren hatte, nicht gestorben war. Stattdessen hatte er die Zuwendungen eines jeden Mädchens angenommen, das willig gewesen war, mit ihm in einem dunklen Winkel zu verschwinden. An drei erinnerte er sich mit Gewissheit; es mochten mehr gewesen sein. Vollkommen egal. Das Einzige, was gezählt hatte, war, dass Dellen es sah.
Doch dann hatte ein gepresstes »Nimm deine Dreckspfoten von meiner Schwester« dem Spiel ein abruptes Ende gesetzt – Jamie Parsons, der sich in der Rolle des entrüsteten Bruders versuchte. Des Bruders, der bald zur Uni gehen würde, der reich war, der Reisen zu den besten Surfplätzen der Welt gemacht hatte und nun sicherging, dass das auch bestimmt jeder erfuhr. Ausgerechnet dieser Bruder ertappte einen unwürdigen Eingeborenen dabei, wie er seiner Schwester an die Wäsche ging, und diese Schwester lehnte an der Wand, hatte ein Bein um Ben geschlungen und war scharf auf ihn. Sie sei scharf auf ihn, hatte Ben dämlicherweise und lauthals gedröhnt, damit es garantiert ein jeder hörte, nachdem Jamie Parsons sie getrennt hatte, und das war es, was er ihm eigentlich übel nahm.
Ohne jegliches Feingefühl hatte man ihn vor die Tür gesetzt. Seine Kumpel waren ihm auf dem Fuße gefolgt – aber nach allem, was er wusste und je herauszufinden gewagt hatte, war Dellen dort geblieben.
»Scheiße, den Wichser nehmen wir uns vor«, hatten sie befunden, angestachelt von Alkohol, Drogen und ihrem Zorn auf Jamie Parsons.
Und danach? Ben hatte nicht die geringste Ahnung.
Die ganze Nacht ließ er sich die Geschichte durch den Kopf gehen. Er war gegen zehn aus Pengelly Cove zurückgekommen und hatte nichts weiter tun können, als durch das Hotel zu laufen, hatte an Fenstern innegehalten, um auf die rastlose See in der Bucht hinabzuschauen. Im Hotel war es vollkommen still gewesen. Kerra war ausgeflogen, Alan nach Hause gegangen, und Dellen … Sie war weder im Wohnzimmer noch in der Küche gewesen, und weiter hatte er nicht gesucht. Er brauchte Zeit, um seine Erinnerungen zu durchsieben und das, was er wusste, von dem zu trennen, was er sich nur zusammengereimt hatte.
Am Vormittag betrat er schließlich ihr Schlafzimmer. Dellen lag diagonal über dem Bett, in einem tiefen Tablettenschlaf, und atmete schwer. Das Fläschchen mit den Pillen stand offen neben ihr auf dem Nachttisch, wo immer noch die Lampe brannte. Vermutlich war sie die ganze Nacht über angewesen – und Dellen zu vernebelt, um sie auszuschalten.
Er setzte sich auf die Bettkante. Seine Frau war immer noch angekleidet wie am Vortag; der rote Schal unter ihrem Kopf sah aus wie eine Blutlache, die Fransen wie verstreute Blütenblätter und Dellens Kopf in der Mitte: das Herzstück der Blume.
Sein Fluch war, dass er sie immer noch liebte. Dass er sie hier und jetzt betrachten konnte, und trotz allem, sogar trotz Santos Ermordung, konnte er sie immer noch wollen, weil sie die Fähigkeit besaß und, so fürchtete
Weitere Kostenlose Bücher