Doch die Sünde ist Scharlachrot
Kernes Sohn, Santo – schien wie ein Zauberspruch zu wirken. Jeder der Männer sagte zu.
Lynley hatte den Küstenpfad für ihr Gespräch ausgewählt. Nicht weit vom Dorf entfernt stand hoch oben auf der Klippe die Gedenkstätte für Jamie Parsons, die Eddie Kerne erwähnt hatte: eine halbkreisförmige Steinbank mit hoher Rückenlehne und einem runden Tisch davor. ›Jamie‹ stand in die Mitte der Tischplatte gemeißelt, darunter sein Geburts- und Todesdatum. Als er bei der Gedenkstätte ankam, erinnerte sich Lynley daran, dass er sie früher schon während seiner langen Wanderung auf dem Küstenpfad gesehen hatte. Er hatte in ihrem Windschatten gesessen und, statt aufs Meer hinauszublicken, auf den Namen des Jungen und die Daten gestarrt, die von der Kürze dieses Lebens sprachen. Die Kürze des Lebens hatte seine Gedanken beherrscht. Und sie. Helen.
Heute, ging ihm auf, als er sich auf die Bank setzte, um zu warten, hatte er bis auf ein paar Minuten beim Aufwachen noch kein einziges Mal an Helen gedacht, und diese Erkenntnis drängte ihren Tod wie einen frischen Schmerz zurück in sein Bewusstsein. Es war ihm nicht recht, dass er nicht täglich, stündlich an sie dachte, wenngleich ihm klar war: In der Gegenwart zu existieren, würde bedeuten, dass Helen weiter und weiter in seine Vergangenheit entschwand, während er selbst sich vorwärtsbewegte. Doch es verletzte ihn, das zu denken. Geliebte Frau. Ersehnter Sohn. Beide waren fort, und eines Tages würde er es überwinden. Obwohl er wusste, dass dies der Lauf der Dinge, dass so das Leben war, erschien ihm die Tatsache, dass er irgendwann darüber hinwegkommen würde, ebenso unerträglich wie obszön.
Er stand von der Bank auf und trat an den Rand der Klippe. Auch hier wurde an den Tod eines Menschen erinnert, wenn auch weniger formell, als Jamie Parsons' Bank und Tisch es taten. Neben dem Weg lagen ein Kranz aus welkendem Immergrün vom letzten Weihnachtsfest, ein schwindsüchtiger Luftballon, ein durchweichter Teddybär und der Name Eric in schwarzem Filzmarker auf einem Zungenspatel. Es gab Dutzende Wege, um an der Küste von Cornwall sein Leben zu verlieren. Lynley fragte sich, welcher Tod Eric ereilt hatte.
Schritte auf dem steinigen Weg lenkten seine Aufmerksamkeit zurück auf den Pfad, der von Pengelly Cove heraufführte. Er sah die drei Männer zusammen über die Kuppe kommen und wusste, dass sie einander kontaktiert hatten. Damit hatte er gerechnet, als er sie aufgesucht hatte. Er hatte es sogar gefördert. Sein Plan war, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Sie hatten nichts von ihm zu befürchten.
Darren Fields war offenbar so etwas wie der Anführer. Er war der Größte von ihnen, und als Rektor der örtlichen Grundschule verfügte er vermutlich auch über die beste Bildung. Er führte ihren Gänsemarsch den Pfad hinauf an. Er war der Erste, der Lynley zunickte und die Wahl des Treffpunkts mit den Worten kommentierte: »Das dachte ich mir. Nun, wir haben alles, was es zu dem Thema zu sagen gibt, schon vor Jahren gesagt. Also, wenn Sie glauben …«
»Ich bin hier wegen Santo Kerne, wie ich Ihnen schon sagte«, unterbrach Lynley. »Und auch wegen Ben Kerne. Wenn ich irgendwelche anderen Absichten verfolgte, hätte ich Ihnen wohl kaum Ross und Reiter genannt.«
Die anderen beiden schauten Fields an, der Lynleys Worte abwägte. Schließlich zuckte er mit dem Kopf, was man als Nicken deuten konnte, und sie alle kehrten zu der Bank und dem Tisch zurück. Frankie Kliskey schien der nervöseste von den dreien zu sein. Er war ein ungewöhnlich kleiner Mann und biss seitlich auf seinem Zeigefinger herum, der mit Maschinenöl verdreckt und wund vom vielen Kauen war. Wie ein verschrecktes Kaninchen huschte sein Blick von einem zum anderen. Chris Outer schien auf jedwede Richtung, in die die Dinge sich entwickeln mochten, vorbereitet. Im Windschatten seiner Hand zündete er sich eine Zigarette an, lehnte sich an die Bank, den Kragen seiner Lederjacke hochgeschlagen, die Augen verengt, und sein Ausdruck erinnerte ein klein wenig an James Dean; nur die Haartolle fehlte. Outer war so kahl wie ein Ei.
»Ich hoffe, Sie verstehen, dass dies hier keine wie auch immer geartete Falle ist«, sagte Lynley zur Einleitung. »David Wilkie – sagt Ihnen der Name noch etwas? Ja, ich sehe, das ist der Fall. Er ist der Überzeugung, dass das, was vor all den Jahren mit Jamie Parsons passiert ist, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Unfall war. Wilkie denkt nicht –
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