Doch die Sünde ist Scharlachrot
»Ich schwöre es Ihnen.«
»Wer dann?«
»Ich weiß es nicht.« Er sah ihr in die Augen. Sein Blick war ernst und stetig. »Daidre, haben Sie etwas zu verbergen?«
»Nichts, was Scotland Yard interessieren würde. Warum schnüffeln die in meinem Leben herum?«
»In einem Mordfall wird jede Person, die in irgendeiner Verbindung dazu steht, unter die Lupe genommen. In Ihrem Fall, weil der Junge in der Nähe Ihres Hauses ums Leben gekommen ist. Und … gibt es weitere Gründe? Gibt es etwas, was ich noch nicht weiß, was Sie mir vielleicht jetzt erzählen möchten?«
»Ich meine nicht, warum wird gegen mich ermittelt.« Daidre versuchte, gelassen zu klingen, aber sein eindringlicher Blick machte es ihr schwer. »Ich meine, warum Scotland Yard? Was hat Scotland Yard überhaupt hier verloren?«
Er stand wieder auf und wandte sich dem Wasserkocher zu. Sie stellte überrascht fest, dass sie ebenso erleichtert wie enttäuscht war, dass er auf Distanz zu ihr ging, denn in seiner Nähe lag eine Art von Sicherheit, die zu fühlen sie nicht erwartet hatte. Er antwortete nicht gleich. Stattdessen füllte er den Wasserkocher am Waschbecken und schaltete ihn ein.
»Thomas, warum sind Sie hier?«
Als er wieder das Wort ergriff und ihre Frage beantwortete, sah er sie immer noch nicht an. »Bea Hannaford hat nicht genügend Leute«, sagte er. »Ihr sollte eigentlich ein Team von Kriminalbeamten für den Fall zur Verfügung stehen, aber sie bekommt es nicht. Ich nehme an, die Personaldecke ist derzeit einfach zu dünn für den gesamten Distrikt, und die hiesige Polizeibehörde hat Scotland Yard um Unterstützung gebeten.«
»Ist das üblich?«
»Scotland Yard mit einzubeziehen? Nein. Üblich ist es nicht. Aber es kommt vor.«
»Und warum stellen Ihre Kollegen Fragen über mich? Und warum in Falmouth?«
Es herrschte Stille, während er sich mit Teebeutel und Tasse zu schaffen machte. Seine Stirn war gerunzelt. Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen, dann eine zweite. Eintreffende Stammgäste begrüßten einander mit fröhlichen Rufen.
Endlich wandte er sich wieder zu ihr um. »Wie gesagt, in einer Mordermittlung werden alle beteiligten Personen genauestens überprüft, Daidre. Als Sie und ich nach Pengelly Cove gefahren sind, waren wir in einer ähnlichen Mission, um etwas über Ben Kerne herauszufinden.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn. Ich bin in Falmouth aufgewachsen. Ja, stimmt. Aber warum wird jemand dorthin geschickt und nicht nach Bristol, wo ich heute lebe?«
»Vielleicht ist jemand anderes nach Bristol gefahren«, erwiderte Lynley. »Ist das denn so wichtig?«
»Natürlich ist es wichtig! Was für eine alberne Frage! Wie würden Sie sich wohl fühlen, wenn die Polizei in Ihren Privatangelegenheiten herumschnüffelte, und das aus keinem anderen Grund, als dass in der Nähe Ihres Cottages ein Junge von einer Klippe gestürzt wäre?«
»Wenn ich nichts zu verbergen hätte, schätze ich, wäre es mir gleichgültig. Und damit schließt sich der Kreis. Haben Sie etwas zu verbergen? Etwas, was Sie der Polizei verheimlichen? Vielleicht über Ihr Leben in Falmouth? Darüber, wer Sie sind oder was Sie tun?«
»Was könnte ich schon zu verbergen haben?«
Er betrachtete sie unverwandt, ehe er schließlich die Gegenfrage stellte: »Woher soll ich die Antwort wissen?«
Mit einem Mal war diese Situation aus dem Ruder gelaufen. Sie war hierhergekommen – vielleicht nicht in heller Entrüstung, aber doch in dem Glauben, dass sie als die ungerecht Behandelte in der stärkeren Position sein würde. Doch nun hatte sich die Lage ins Gegenteil verkehrt; als hätte sie die Würfel zu wagemutig geworfen und er sie geschickt aufgefangen.
»Gibt es irgendetwas, was Sie mir sagen wollen?«, fragte er nochmals.
Und ihr blieb nur übrig zu sagen: »Ganz und gar nicht.«
23
Als Sergeant Havers am nächsten Morgen in die Einsatzzentrale kam, lag auf Beas Schreibtisch ein Klemmkeil, daneben die Originalverpackung. Sie hatte die steife Plastikhülle vorsichtig mit einem neuen und daher sehr scharfen Federmesser entfernt, was ihr weder besondere Fertigkeit noch große Mühe abverlangt hatte. Nun war sie dabei, den Klemmkeil mit der Auswahl an Schneidegeräten zu vergleichen, die ebenfalls vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
»Was tun Sie da?«, fragte Havers. Sie war offenbar zuvor bei der Bäckerei vorbeigefahren, denn von der gegenüberliegenden Seite des Raums schwebte der Duft von Pasteten heran, und Bea brauchte nicht
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