Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
Vom Netzwerk:
letzte Stunde damit verbracht, ein gutes Dutzend Pressefotos von ihm zu betrachten, die während der Ermittlungen in einer Mordserie in London entstanden waren und infolge der Tragödie, die über sein Leben hereingebrochen war. Jetzt wusste sie, warum er ihr so verletzt erschienen war. Sie wusste nur nicht, was sie mit diesem Wissen anfangen sollte. Oder mit dem Rest: Wer er war, was sein soziales Umfeld ausmachte – der Titel, das Geld, die Insignien einer Welt, die sich von der ihren so grundlegend unterschied, dass sie von verschiedenen Planeten hätten stammen können, nicht nur aus unterschiedlichen Milieus in unterschiedlichen Regionen ein und desselben Landes.
    Er hatte sich rasieren und die Haare schneiden lassen. Er trug eine Regenjacke über einem T-Shirt und Pullover. Er hatte feste Schuhe und eine Cordhose gekauft. Und in der Hand hielt er einen gewachsten Regenhut – nicht gerade die Aufmachung, die man von einem Aristokraten erwarten würde, dachte sie grimmig. Doch genau das war er. Lord Sowieso mit einer Frau, die auf offener Straße von einem Zwölfjährigen erschossen worden war. Obendrein war sie schwanger gewesen. Kein Wunder, dass Daidre Lynley als versehrt empfunden hatte. Ein Wunder war allenfalls, dass der Mann überhaupt noch in der Lage war zu funktionieren.
    Als sie am Straßenrand hielt, stieg er ein. Er habe auch noch ein paar Sachen in der Drogerie besorgt, berichtete er und zeigte ihr eine Plastiktüte, die er aus der großräumigen Innentasche seiner Jacke hervorholte. Rasierer, Zahnbürste, Zahnpasta, Rasierschaum …
    »Sie müssen mir nicht Rechenschaft ablegen«, versicherte sie. »Ich bin nur froh, dass das Geld gereicht hat.«
    Er wies auf seine Kleidung. »Schlussverkauf. Echte Schnäppchen. Es ist sogar noch etwas übrig.« Er steckte die Hand in die Tasche und förderte ein paar Scheine und Münzen zutage. »Ich hätte nie gedacht, dass ich …« Er brach ab.
    »Was?« Sie stopfte das Wechselgeld in den unbenutzten Aschenbecher. »Dass Sie einmal selber für sich einkaufen würden?«
    Er sah sie an, und sein Blick sagte, dass er wusste, was ihre Worte verrieten. »Nein«, erwiderte er. »Ich hätte nie gedacht, dass es mir Spaß machen würde.«
    »Ach so. Na ja. Das ist die sogenannte Shopping-Therapie. Aufheiterung garantiert. Irgendwie wissen Frauen das von Geburt an. Männer müssen es erst lernen.«
    Er schwieg einen Moment, und sie ertappte ihn dabei, wie er wieder durch die Windschutzscheibe auf die Straße hinausstarrte, eine andere Zeit und einen anderen Ort erblickte. Ihr wurde bewusst, was sie gesagt hatte, und sie biss sich auf die Unterlippe. Hastig fügte sie hinzu: »Wollen wir Ihre Erfahrung irgendwo mit einem Kaffee krönen?«
    Er dachte darüber nach. Dann antwortete er langsam: »Ja. Ich glaube, ich hätte gern einen Kaffee.«
    Detective Inspector Hannaford wartete bei ihrer Rückkehr zum Salthouse Inn bereits auf sie. Lynley schloss, dass die Beamtin nach Daidres Wagen Ausschau gehalten hatte, denn kaum waren sie in den ungepflasterten Parkplatz des kleinen Hotels eingebogen, kam sie zur Tür heraus. Es hatte wieder zu regnen begonnen; das schlechte Wetter hielt nun schon seit März ununterbrochen an. Hannaford streifte die Kapuze ihrer Regenjacke über und marschierte entschlossenen Schrittes auf sie zu.
    Sie klopfte an Daidres Seitenfenster, und als es herabglitt, sagte sie: »Ich hätte Sie gern gesprochen. Alle beide.« Und dann an Lynley gewandt: »Sie sehen menschlicher aus. Das ist ein Fortschritt.« Sie machte kehrt und flüchtete sich zurück ins Gasthaus.
    Lynley und Daidre folgten. Sie fanden Hannaford im Schankraum, wo sie, so mutmaßte Lynley, an einem Fensterplatz gesessen hatte. Sie zog die Regenjacke aus, warf sie auf eine der Bänke und bedeutete ihnen, ihrem Beispiel zu folgen. Dann führte sie sie zu einem der größeren Tische, wo ein Straßenverzeichnis von der Größe einer Zeitschrift aufgeschlagen lag.
    Ihr Auftreten Lynley gegenüber war leutselig, und das stimmte ihn schlagartig misstrauisch. Er wusste nur zu gut: Wenn Cops freundlich waren, dann aus einem bestimmten Grund, und nicht zwangsläufig war es ein guter. Sie fragte, wo er am Tag zuvor seine Küstenwanderung aufgenommen habe. Ob er ihr die Stelle im Straßenatlas zeigen könne? »Sehen Sie, hier, der Pfad ist als grün gepunktete Linie gekennzeichnet. Wenn Sie so freundlich wären, mir die Stelle zu zeigen … Es geht nur darum, ein paar lose Enden Ihrer

Weitere Kostenlose Bücher