Doch die Sünde ist Scharlachrot
gegen Hannaford oder sie selbst.
»Sind wir jetzt entlassen?«, fragte Daidre.
»Sie schon, Dr. Trahair«, antwortete Hannaford. »Aber Mr. Lynley und ich haben noch etwas zu erledigen.«
»Sie können doch nicht glauben, dass er …« Sie brach ab. Ihr Gesicht hatte sich erneut gerötet. Sie schaute zu Lynley und wandte dann hastig den Blick ab.
»Dass er was?«
»Er ist fremd in dieser Gegend. Woher sollte er den Jungen gekannt haben?«
»Heißt das, dass Sie ihn kannten, Dr. Trahair? Diesen Jungen? Er hätte doch selbst ein Fremder in dieser Gegend sein können. Es wäre doch immerhin möglich, dass unser Mr. Lynley hier eigens zu dem Zweck angereist ist, Santo Kerne – so hieß er übrigens – von der Klippe zu stoßen.«
»Das ist doch lächerlich. Hat er nicht gesagt, er sei Polizist?«
»Das hat er gesagt, ja. Aber noch habe ich keinerlei Beweis dafür. Sie vielleicht?«
»Ich … Ach, egal.« Sie hatte ihre Schultertasche auf einem Stuhl abgestellt und nahm sie nun auf. »Sie haben gesagt, dass Sie fertig mit mir sind, Inspector. Ich gehe dann jetzt.«
»Ja, ich bin fertig mit Ihnen«, versicherte Bea Hannaford höflich. »Fürs Erste.«
Während der anschließenden Autofahrt tauschten sie nur wenige Sätze. Lynley fragte Hannaford, wohin sie ihn bringe, und sie antwortete: »Nach Truro. Ins Royal Cornwall Hospital, um genau zu sein.«
»Sie wollen die Pubs entlang der Route überprüfen, richtig?«
»Alle Pubs auf dem Weg nach Truro?«, entgegnete sie verschmitzt. »Wohl kaum, mein Lieber.«
»Ich rede nicht von dem Weg nach Truro, Inspector«, gab er zurück.
»Ich weiß. Und erwarten Sie im Ernst, dass ich Ihre Frage beantworte? Sie haben den Leichnam gefunden. Sie wissen doch, wie es läuft, wenn Sie wirklich derjenige sind, für den Sie sich ausgeben.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt, obwohl keine Sonne schien, es vielmehr immer noch regnete. Er rätselte, was es damit auf sich hatte, und sie beantwortete seine ungestellte Frage: »Sehhilfe. Ich brauche zum Fahren eine Brille. Die andere ist zu Hause. Oder vielleicht auch im Schulrucksack meines Sohnes. Oder womöglich hat einer der Hunde sie gefressen, ich weiß es nicht.«
»Sie haben Hunde?«
»Drei schwarze Labradore. Hund Eins, Zwei und Drei.«
»Interessante Namen.«
»Zu Hause halte ich die Dinge gern einfach. Als Ausgleich dafür, dass sie im Job niemals einfach sind.«
Das war alles, was sie zueinander sagten. Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend, die Stille nur unterbrochen von Satzfetzen aus dem Funkgerät und zwei Anrufen, die Hannaford auf dem Handy entgegennahm. Der erste kam offenbar aus Truro, wo man ihre ungefähre Ankunftszeit in Erfahrung bringen wollte, immer vorausgesetzt, dass sie in keinen Stau geriet. Der zweite Anrufer machte eine kurze Mitteilung, worauf sie barsch erwiderte: »Ich hatte ihm doch gesagt, er soll es zu mir bringen. Was zum Henker hat er bei dir in Exeter verloren? … Und wie soll ich … Das ist absolut nicht nötig, und ja, bevor du es sagst: Du hast recht. Ich will nicht in deiner Schuld stehen … Oh, super. Mach doch, was du willst, Ray.«
In Truro führte Hannaford Lynley in die Pathologie des Krankenhauses, wo der Geruch nach Desinfektionsmittel so intensiv war, dass er einem sofort zu Kopf stieg. Ein Assistent war gerade dabei, eine Rollliege abzuspritzen, auf der zuvor ein Leichnam aufgeschnitten worden war. Der Rechtsmediziner – schmal wie die Heiratschancen einer alternden Jungfer – stand über eine Edelstahlspüle gebeugt und leerte ein großes Glas Tomatensaft. Der Mann musste einen Magen aus Eisen und die Sensibilität eines Felsbrockens besitzen, dachte Lynley.
»Das ist Gordie Lisie«, stellte Hannaford vor. »Niemand auf der Welt macht den Y-Schnitt so zackig wie er, und Sie wollen gar nicht wissen, wie schnell er Rippen zersägt.«
»Zu viel der Ehre«, sagte Lisie.
»Ich weiß. Das hier ist Thomas Lynley. – Was haben wir?«
Lisie stellte sein Saftglas beiseite, trat an seinen Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier auf, das er überflog, und begann seinen Bericht. Die Verletzungen stammten eindeutig von einem Sturz, sagte er einleitend. Er zählte sie auf: gebrochene Hüfte, der rechte Malleolus medialis zertrümmert. »Für den Laien: Das ist der Knöchel«, fügte er hinzu.
Hannaford nickte wissend.
»Rechtes Schien- und Wadenbein gebrochen«, fuhr Lisie fort. »Mehrfache Brüche der rechten Elle
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