Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
kann?«
»Dass man keinen hochkriegt?«, antwortete James, der sich keine größere Katastrophe vorstellen konnte.
»Nein, dass ein Feuer ausbricht und man nackt auf die Straße rennen muss«, grinste Noah.
James lachte und fühlte sich gleich ein bisschen wohler. »Kein Problem, zieh dich einfach nicht aus!«
Als Noah auf die Türklingel drückte, wurde eine kleine Luke geöffnet, und eine Frau musterte sie prüfend. Noah lüpfte höflich seinen Hut. Die Tür ging auf, und vor ihnen stand eine hagere Frau, die ein schlichtes schwarzes Kleid trug und mindestens fünfzig war.
James teilte ihr in stockendem Französisch mit, dass sie Engländer seien und diese Adresse von einem Freund bekommen hätten. Die Frau forderte sie mit einer Handbewegung auf einzutreten und führte sie, nachdem sie die Tür wieder geschlossen und ihnen ihre Hüte abgenommen hatte, in einen Raum, der links von der Eingangshalle abging.
In dem Zimmer war es dank eines prasselnden Feuers angenehm warm. Vier Mädchen waren anwesend, alle spärlich mit seidenen Negligés bekleidet, die kaum ihre Unterwäsche verhüllten. Die Frau, die sie hereingelassen hatte, bot ihnen etwas zu trinken an; anscheinend gab es nur Rotwein. Dann stellte sie ihnen die Mädchen vor: Sophia, Madeleine, Arielle und Cosette. Arielle war eine dunkelhaarige Schönheit mit riesigen, schmelzenden Augen und einem vollen, breiten Mund, aber die anderen waren in keiner Weise bemerkenswert.
James schüttelte ihnen die Hände, was sie zum Kichern brachte.
»Spricht eine von euch Englisch?«, erkundigte Noah sich.
»Ein bisschen«, antwortete das kleine Mädchen mit den mausbraunen Haaren, das Cosette hieß.
James fing an sich mit Arielle zu unterhalten, und Noah bemerkte, dass sie recht angetan von ihm schien und auf alles einging, was er zu ihr sagte. Noah lächelte Cosette entschlossen an und gab ihr einen Handkuss.
Auch das brachte die Mädchen zum Kichern, aber Cosette schien es zu gefallen.
In einer Ecke des Zimmers spielte ein Grammophon, und Noah forderte Cosette zum Tanzen auf. Wieder kicherte Cosette, als hätte noch nie ein Mann vorgeschlagen, vorher mit ihr zu tanzen. »Mag Madame Sondheim es nicht, wenn ihr tanzt?«, fragte er. Er wusste, dass es vielen Bordellbetreiberinnen nicht recht war, wenn die Mädchen ihre Zeit mit solchen Sachen verschwendeten.
»Sie kennen sie?«, fragte Cosette bestürzt.
Noah schüttelte den Kopf. »Nein. Ein Freund von mir, der einmal hier war, meinte, dass sie ziemlich streng wirkt. Stimmt das?«
Cosette nickte. Noah fiel auf, dass sie hübsche graue Augen hatte, und auch wenn ihr Haar eine Wäsche dringend nötig hatte, war es ein Segen, dass sie Englisch sprach.
»Erzählst du mir oben etwas darüber?«, schlug er vor, weil er spürte, dass sie vor den anderen auf der Hut sein würde.
»Sie wollen mich?«, fragte sie erstaunt.
Noah war sich nicht sicher, ob er Sex mit ihr wollte, aber er lächelte und sagte ja, natürlich. Sofort nahm sie ihn an der Hand und zerrte ihn förmlich aus dem Salon, während James der Gesellschaft der schönen Arielle überlassen blieb und Madeleine und Sophia ihnen nachsahen.
Cosette ging mit Noah hinauf in den dritten Stock. Als sie im ersten und zweiten Stock waren, hörte er hinter verschlossenen Türen Geräusche, die darauf hinwiesen, dass dort andere Mädchen mit ihren Kunden beschäftigt waren. Cosettes Zimmer sah genauso aus wie sie selbst – unordentlich, abgenutzt und ungepflegt.
»Sie müssen mir zuerst das Geld geben«, sagte sie und streckte ihre Hand aus.
Noah, der mit der französischen Währung noch nicht zurechtkam, zog einen Zehn-Franc-Schein aus seiner Brieftasche und reichte ihn ihr. Als sie die Stirn runzelte, legte er noch einen dazu, und diesmal lächelte sie und ging zur Tür, um das Geld jemand anderem zu geben.
Sie nestelte an ihrem blauen Überwurf, aber Noah hielt sie zurück. »Ich kann nicht«, sagte er. »Mein Freund wollte unbedingt eine Frau. Ich habe ihn bloß begleitet. Können wir nicht einfach nur reden?«
Cosette zuckte die Achseln und setzte sich aufs Bett.
»Sind komisch, die Engländer«, sagte sie kopfschüttelnd.
Noah lachte. »So ist es. Viele von uns haben am liebsten ganz junge Dinger. Ich habe gehört, dass es bei Madame Sondheim manchmal sehr junge Mädchen gibt.«
»Nicht für Männer wie Sie«, sagte sie ungläubig. »Nur für alte Männer.«
Noah setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm ihre Hand in seine. »Bekommt sie auch junge
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