Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Erzeugnisse in die ganze Welt. James bekleidete offiziell einen Posten im Londoner Büro, aber im Grunde bestand seine Arbeit darin, durch Europa zu reisen und neue Absatzmärkte zu finden. Deshalb hatte er sich auch gern bereit erklärt, Noah nach Paris zu begleiten; abgesehen von ihren anderen Plänen wollte er dort einige der Geschäfte überprüfen, die bereits Räder der Marke Morgan führten.
Noah zückte seine Taschenuhr. »Fast eins«, sagte er. »Gehen wir doch da drüben eine Kleinigkeit essen.« Er zeigte auf ein Restaurant auf der anderen Seite des Platzes, vor dem Tische und Stühle aufgestellt waren. »Wir können uns als unternehmungslustige Reisende ausgeben und den Kellner fragen, wo man Mädchen finden kann!«
James lachte. Er war gern mit Noah zusammen; seine Herzlichkeit, sein gutes Aussehen und Selbstbewusstsein wirkten anziehend auf andere. James fiel es selbst nicht so leicht, Freundschaften zu schließen – er war nicht wirklich schüchtern, aber es lag ihm einfach nicht, aus sich herauszugehen. Noch dazu war ihm bewusst, dass er nicht besonders gut aussah – klein und ein bisschen untersetzt. Und sein Haaransatz schien jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaute, ein Stück weiter nach oben gerutscht zu sein. Andere Leute behaupteten, dass er mit dreißig als wohlhabender Gentleman aus gutem Haus eine sehr erstrebenswerte Partie war, aber obwohl seine Eltern und ihre Bekannten ihm ständig passende Mädchen vorstellten, schien sich keine sonderlich für ihn zu interessieren. Tatsächlich glaubte er, dass Frauen ihn langweilig fanden, und schließlich war er noch Jungfrau. Aber er brachte es nicht fertig, diese beschämende Tatsache Noah anzuvertrauen.
Zwei Stunden später, nach einem vorzüglichen Mittagessen und einigen Gläsern Wein, gönnten sich die beiden noch einen Brandy.
James hatte sich nicht getraut, direkt nach einem Bordell in der Nähe zu fragen, aber Noah war es mit seinen paar Brocken Französisch, der kleinen Zeichnung einer nackten Frau und viel Gestikulieren gelungen, sich dem buckligen alten Kellner in seiner langen grünen Schürze verständlich zu machen. Der Kellner zeigte auf das Haus, vor dem sie gestanden hatten, und hielt sieben Finger hoch, wahrscheinlich, um ihnen zu erklären, wann das Bordell geöffnet wurde.
»Bis jetzt läuft es ganz gut«, stellte Noah fest und bestellte sich noch einen Brandy. »Madame Sondheim wollte ich lieber nicht erwähnen. Wenn ihr zu Ohren kommt, dass sich jemand nach ihr erkundigt hat, lässt man uns da drüben vielleicht nicht rein.«
»Wir gehen da also heute Abend hin?«, fragte James nervös.
Noah verdrehte die Augen. »Wie sollen wir denn sonst etwas herausfinden?«, sagte er ungeduldig. »Komm schon, James. Du bist von uns beiden derjenige, der Französisch spricht, lass mich jetzt nicht im Stich!«
»Ich war noch nie in einem Bordell«, sagte James leise, weil ernicht wollte, dass jemand ihn hörte. »Ich habe keine Ahnung, wie man sich da benimmt.«
»Die sehen es einem an, wenn man ein Neuling ist.« Noah dachte an seinen ersten Besuch in einem Bordell und lachte. »Hier ist es wahrscheinlich nicht anders als in England. Wir tun so, als hätten wir so was noch nie gemacht, dann kommen wir leichter mit den Mädchen ins Gespräch. Da du Französisch kannst, könntest du behaupten, dass du es eigentlich mit keiner machen willst, weil du daheim eine Verlobte hast.«
»Ich hätte aber nichts dagegen, es zu machen«, beteuerte James.
Noah grinste. »Für dich ist es wirklich noch neu, oder?«
James ließ den Kopf hängen und nickte beschämt. Als sein Freund sich bereit erklärte, ihn nach Frankreich zu begleiten, hatte Noah ihm anvertraut, wie Belle den Mord an Millie beobachtet hatte, aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er James auch erzählen musste, wie er Millie kennengelernt und was er für sie empfunden hatte.
»Ich war völlig hin und weg«, gestand er. »Sie war so warmherzig, lieb und hübsch, kein bisschen, wie man sich eine Prostituierte vorstellt. Ihretwegen muss ich herausfinden, wo Belle und die anderen Mädchen sind.«
»Hast du sie geliebt?«, fragte James. Er hatte diese Reise bereitwillig mitgemacht, weil Noah und er junge Mädchen in Not retten sollten. Aber sein Elternhaus und seine Erziehung machten es ihm schwer, den Gedanken zu akzeptieren, dass ein anständiger Mann tiefere Gefühle für eine Hure hegen könnte.
»Was ist schon Liebe?«, bemerkte Noah mit einem trockenen Lächeln.
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