Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
hätte; nur für den Fall, dass Faldo kam, wusch sie sich jeden Abend, frisierte sich sorgfältig und zog ihre neuen Dessous an. Da sie tat, was sie konnte, um ihm zu gefallen, war es sehr verletzend, dass er ihr keinerlei Anerkennung zeigte. Aber an jenem Abend verzieh sie ihm, weil sie dachte, dass er vielleicht einen anstrengenden Tag hinter sich hatte.
Aber so war es jetzt immer. Sie konnte sich abends nie wirklich entspannen, weil Faldo jeden Moment auftauchen konnte. Wenn er bis zehn Uhr nicht da war, wusste sie, dass er nicht mehr kommen würde und sie ihre hübschen Sachen ausziehen, ins Nachthemd schlüpfen und zu Bett gehen konnte. Und wenn er kam, wollte er nicht mit ihr reden, sie fragen, wie ihr Tag gewesen war, oder ihr erzählen, was er gemacht hatte. Er ging einfach mit ihr ins Bett, machte das, was er wollte, und schlief ein.
Tagsüber konnte sie sich einreden, dass ihre Situation weit besser war als bei Martha, auch wenn Faldo sie nicht liebte. Sie war eine Mätresse, keine Hure; sie hatte inzwischen auch ein behagliches Zuhause, weil sie bei Alderson Möbelstücke, Teppiche, Bilder undNippes gekauft hatte. Sie hatte reichlich zu essen und konnte tagsüber tun und lassen, was sie wollte. Aber nachts, wenn Faldo bei ihr war, lag sie lange, nachdem er eingeschlafen war, wach und dachte darüber nach, dass er jetzt noch weniger mit ihr sprach als in der Anfangszeit bei Martha, und fühlte sich schrecklich benutzt und verletzt.
Häufig ertappte sie sich dabei, dass sie an Mog, ihre Mutter und Jimmy dachte, und jedes Mal war es ein Gefühl, als stürze sie in einen dunklen Tunnel, der in Verzweiflung endete. Immer wieder überlegte sie, ob sie ihnen schreiben und sie um Hilfe bitten sollte, aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihnen zu gestehen, was aus ihr geworden war.
Eines Nachmittags vier Wochen nach ihrem Umzug in die North Carrollton Avenue fiel Belle ein kleiner Hutladen, der sich einige Häuserblocks entfernt befand, ins Auge. Bei ihren täglichen Spaziergängen wählte sie jedes Mal einen anderen Weg, um die Stadt und ihre verschiedenen Viertel besser kennenzulernen. Aber aus irgendeinem Grund war sie hier noch nie vorbeigekommen, obwohl es nicht weit von ihrem Haus war.
Belle wartete, bis ein schwer beladener Bierwagen vorbeigerumpelt war, und überquerte die Straße. Bewundernd betrachtete sie die geschmackvoll gestaltete Auslage. Das Schaufenster war mit einem Ast und Blättern aus goldenem, rotbraunem und rotem Papier herbstlich dekoriert. Mehrere Hüte hingen an dem Ast, ein kesser roter mit langen goldenen und braunen Federn, ein moosgrüner mit breiter Krempe und Schleier, eine braune Samthaube und ein hinreißender goldbrauner, mit bernsteinfarbenen Perlen verzierter Glockenhut.
Seit sie aus England fortgegangen war, hatte sie nicht ein einziges Mal zum Bleistift gegriffen, um wie früher daheim Hüte zu zeichnen. Und abgesehen von dem Moment, als sie Etienne von ihrem Traum, eines Tages einen Hutladen zu besitzen, erzählte, hatte sie nicht einmal mehr daran gedacht.
Aber als sie jetzt durch das Schaufenster in den Laden spähte, wurden all ihre Erinnerungen wieder wach. Im hinteren Bereich des Ladens war ein Arbeitstisch, und davor stand eine sehr kleine weißhaarige Frau und machte sich an einem schwarzen Hut auf einem Ständer zu schaffen. Anscheinend befestigte sie einen Schleier daran.
In dem kleinen Geschäft gab es Dutzende Hüte, und Belle wollte sich unbedingt alle Modelle näher anschauen. Als sie eintrat, klingelte eine Glocke, die genauso klang wie die in dem Süßigkeitenladen zu Hause in Seven Dials.
Die alte Dame unterbrach ihre Tätigkeit. »Wie kann ich Ihnen helfen, Madam?«, fragte sie.
Sie musste mindestens sechzig sein, ihr Gesicht war von Falten durchzogen und ihr Rücken leicht gekrümmt. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das nur durch einen Kragen und Manschetten aus cremefarbener Spitze aufgehellt wurde, aber sie hatte fröhliche Augen und ein warmes Lächeln.
»Ich wollte mich nur ein bisschen umschauen«, sagte Belle. »Ich liebe Hüte, und Ihre Auslage ist wirklich schön.«
»Danke sehr, meine Liebe«, erwiderte die alte Dame. »Sie sind Engländerin, nicht wahr? Ich war schon immer der Meinung, dass Engländerinnen einen besonders guten Geschmack haben.«
Sie plauderten eine Weile über Hüte, und weil sich die alte Dame über ihre Gesellschaft zu freuen schien, gestand Belle ihr schließlich, dass sie immer davon geträumt
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