Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
schließen und das Licht anzudrehen. Essensgerüche wehten in ihr Haus, aber auf der Straße war es viel ruhiger als im Bezirk, und das war immerhin ein Pluspunkt, auch wenn ihr sonst gar nichts an diesem düsteren kleinen Haus gefiel.
»Du warst viel zu voreilig«, sagte sie laut zu sich selbst, als sie in die Küche ging, um den Kessel aufzustellen. »Du hättest ihn erst besser kennenlernen oder andere Männer in Betracht ziehen sollen. Aber jetzt ist es passiert, es gibt kein Zurück, und du musst das Beste daraus machen.«
Schon nach wenigen Tagen stellte Belle fest, dass Langeweile und Einsamkeit ihre größten Feinde waren. Die Langeweile bekämpfte sie, indem sie sauber machte, kochte, spazieren ging, las und nähte, aber gegen die Einsamkeit fand sie kein Mittel.
Fast täglich wünschte sie sich, sie wäre wieder mit den anderen Mädchen in Marthas Küche, um im Nachthemd und mit zerzaustem Haar lange und ausgiebig zu frühstücken, über die vergangene Nacht zu plaudern oder vor Lachen zu kreischen, wenn eine der anderen eine besonders skurrile Begebenheit schilderte. Dann hatte es jene trägen Nachmittage gegeben, an denen sie durchs French Quarter bummelten oder im Garten die Zeit verdösten, schwatzten und eisgekühlte Limonade tranken. Sie hätte sogar alles gegeben, um die Türglocke läuten zu hören, auch wenn das hieß, dass einKunde kam und sie alle von einem Moment auf den anderen verführerisch lächeln und sich für das, was kommen mochte, wappnen mussten.
Im Bezirk war es fast unmöglich, eine Straße hinunterzugehen, ohne mit diesem oder jenem kurz zu plaudern. Die Straßenmusikanten begrüßten die Mädchen gern mit einem Ständchen – Belle hätte nicht sagen können, wie oft sie stehen geblieben war, um ihnen zuzuhören und zu lachen, wenn sie mit ihr flirteten. Sie konnte an einem Stand Eiscreme oder ein Stück Wassermelone kaufen und sich von dem Verkäufer den neuesten Klatsch und Tratsch erzählen lassen. Die Geschäftsleute waren alle freundlich und begrüßten sie mit einem Lächeln; Hochmut lag ihnen fern, weil sie sich nicht überlegen fühlten. Im ganzen Bezirk hatte ein Gefühl von Zusammengehörigkeit existiert, fast wie daheim in Seven Dials.
Aber hier hatte sie bisher noch niemand auf der Straße angesprochen oder auch nur gelächelt. Belle bezweifelte, dass die Nachbarn nicht mit ihr redeten, weil sie wussten, dass sie von einem Mann ausgehalten wurde; sie hatte in der Gegend noch nie Leute miteinander reden sehen. Vermutlich war das in »achtbaren« Wohnvierteln so. Die Leute blieben einfach für sich. Ob sie Furcht vor Nähe hatten oder einfach hochnäsig waren, wusste Belle nicht. Aber was auch der Grund sein mochte, es gefiel ihr nicht.
Manchmal fühlte sie sich so allein, dass sie sich in den Schlaf weinte. Die Stille lastete schwer auf ihr und machte ihr Angst. In einigen Nächten hatte es schwere Unwetter gegeben, mit starkem Regen, der laut auf das Blechdach prasselte, und so lauten Donnerschlägen, dass sie vor Angst zitterte. Sie gewöhnte sich an, lange Spaziergänge zu machen, und wagte sich jedes Mal ein Stück weiter vor, um einerseits die Heimkehr hinauszuzögern und andererseits so müde zu werden, dass sie einschlafen konnte, wenn sie im Bett lag.
Faldo kam einmal in der Woche, aber immer an einem anderen Tag. Zuerst glaubte Belle ihm, als er sagte, er hätte keinen festen Zeitplan und wüsste nie, wie lange er an einem Ort blieb, abermittlerweile argwöhnte sie, dass er lediglich überprüfen wollte, ob sie sich in seiner Abwesenheit mit anderen Männern traf.
Bei seinem ersten Besuch nach ihrem Einzug brachte er eine Schachtel eines teuren Dessousgeschäfts mit. Er hatte ihr ein schönes rotes Seidenhemd mit passendem Negligé und elegante rote, mit schwarzen Schwanenfedern besetzte Lederpantöffelchen gekauft. An diesem Abend war er richtig nett und liebevoll, machte ihr Komplimente, wie schön das Haus aussah, und zeigte sich besorgt, ob sie auch nicht zu einsam war.
Belle glaubte, dass es immer so sein würde. Sie hatte vor, ihm besondere Mahlzeiten zu kochen und den Tisch mit Blumen und Kerzen zu decken und dachte, dass sie vielleicht manchmal in ein Restaurant oder ins Theater gehen würden. Sie malte sich sogar aus, dass er eines Tages vorschlagen würde, gemeinsam zu verreisen.
Aber als er das nächste Mal kam, wirkte er kühl und distanziert, auch wenn sie keine Ahnung hatte, warum. Es war nicht etwa so, dass sie ungepflegt ausgesehen
Weitere Kostenlose Bücher