Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Mädchen über so etwas sprechen muss, wenn sie nicht den Rest ihres Lebens Albträume haben will. Aber wenn du deiner Mutter ein Versprechen gegeben hast, will ich dich nicht dazu bringen, es zu brechen.«
Belle fasste Mogs Worte so auf, dass sie einstweilen keine Fragen mehr stellen würde, und sie war darüber ebenso erleichtert wie enttäuscht. Erleichtert, weil sie wusste, dass sie in die Knie gehen und alles erzählen würde, wenn Mog nicht lockerließ, und Annie böse auf sie sein würde. Aber gleichzeitig war sie enttäuscht, dass Mog sich Annies Wünschen nicht widersetzen wollte, weil es ihr so viel bedeutet hätte, sich alles von der Seele zu reden.
»Schlaf jetzt.« Mog drängte sie sanft aufs Bett, zog ihr die Decke bis zu den Ohren hoch und stopfte sie so fest, dass Belle sich kaum rühren konnte. »Morgen sieht vielleicht alles ganz anders aus.«
In der Nacht schneite es weiter, und am nächsten Morgen lag noch mehr Schnee, der alle Spuren, die der Täter möglicherweise hinterlassen hatte, verdeckte. Millies Leichnam wurde in aller Frühe von einem Wagen des Leichenschauhauses abgeholt, und kurz danach traf der erste Trupp Polizeibeamter ein, um Millies Zimmer gründlich zu durchsuchen.
Annie befahl Belle, in der Küche zu bleiben. Sie wollte nicht einmal, dass sie nach oben ging, um sauber zu machen, Feuer in den Kaminen anzuzünden oder die Nachttöpfe auszuleeren. Sie machteein grimmiges Gesicht und sprach in scharfem Tonfall, aber Mog meinte, das läge zum Teil sicher daran, dass Annie gezwungen gewesen war, zu einer ihrer Meinung nach unchristlich frühen Zeit aufzustehen und sich anzuziehen.
Mog blieb oben, aber ob sie das tat, weil sie von der Polizei dazu aufgefordert worden war, oder weil sie ein Auge auf die Mädchen haben wollte, wusste Belle nicht. Sie hörte, wie die Mädchen eine nach der anderen zum Verhör in den Salon gerufen wurden, und als Ruby, eine der jüngsten, in die Küche kam, um sich eine Tasse Tee zu holen, erzählte sie, dass die Polizei wissen wollte, welche Männer Millie besonders gern aufsuchten.
»Ich hab ihnen erzählt, dass alle Millie mochten«, sagte Ruby mit einem Anflug von Bitterkeit. Sie war nicht besonders hübsch, ihre Haut war schlecht und ihr braunes Haar stumpf. »Weiß der Kuckuck, warum sie eine wollten, die so alt war wie Millie. Und noch dazu weich in der Birne!«
»Aber sie war nett und freundlich«, sagte Belle. »Und hat immer gelächelt.«
Ruby schnitt eine Grimasse. »Das zeigt doch, wie bekloppt sie war. Hier gibt es nicht viel zum Lachen, das kann ich dir sagen! Die Bullen hatten Dolly eine Ewigkeit drin, bloß weil sie gestern Abend nicht mit uns ausgegangen ist. Sie hat gesagt, dass sie ins Bett gegangen ist, weil sie schlimmes Kopfweh hatte, und nichts gehört hat.«
Es war ungewöhnlich, dass Belle sich so lange mit einem der Mädchen unterhielt; Annie schätzte das nicht sonderlich. Nun, da Belle Gelegenheit hatte, mit Ruby zu sprechen, wollte sie unbedingt mehr über das, was oben vor sich ging, erfahren.
»Komisch, dass sie gar nichts gehört hat«, meinte Belle.
»Tja, sie steht eben auf ihre La-La-Medizin. Wenn sie die nimmt, könnte ein ganzes Pferdegespann samt Kutsche durchs Haus galoppieren, und sie würde nichts davon mitkriegen.«
»La-La-Medizin?«, fragte Belle.
»Laudanum«, sagte Ruby und sah Belle seltsam an, als wäre sieerstaunt, dass sie diese Frage stellte. »Das braune Zeug, das den Tag ein bisschen erträglicher macht.«
Belle hatte von Laudanum gehört, aber sie hatte geglaubt, Ärzte würden es nur Leuten verschreiben, die starke Schmerzen litten. »Tut es denn so weh, wenn ihr das mit den Gentlemen macht?«, fragte sie.
Ruby kicherte. »Hast du es denn noch mit keinem gemacht?«
Belle wollte gerade »Natürlich nicht!« antworten, als Annie am Ende der Treppe erschien und Ruby befahl, wieder nach oben zu gehen.
»Ich wollte bloß eine Tasse Tee«, gab Ruby zurück.
»Du bekommst Tee, wenn ich es sage«, fuhr Annie sie an. »Los, komm schon! Belle, du kannst den Stapel Bettwäsche bügeln.«
Belle stellte das Bügeleisen auf die heiße Herdplatte und legte eine dicke Decke auf den Tisch. Aber als sie hörte, dass einer der Polizisten Annie in den Salon rief, huschte sie die Treppe hinauf und öffnete die Tür einen winzigen Spalt weit, damit sie lauschen konnte.
Der Polizist stellte mehrere allgemeine Fragen: wer im Haus wohnte, was Annie über die Mädchen wusste, und wie lange sie schon hier
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