Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
dieses Zimmer zu bringen; all diese Fragen hätte er ihr genauso gut im Foyer stellen können. Sie hatte nicht einmal vage angedeutet, dass es um Sex ging, oder eine Bezahlung für ihre Dienste erwähnt. Wäre sie naiver gewesen, hätte sie geglaubt, dass er nicht begriff, was sie meinte. Aber ihre Erfahrung sagte ihr, dass er genau wusste, worum es ging, und dass er auch nichts dagegen gehabt hätte, selbst sein Glück bei Belle zu versuchen. Seine dunklen Augen mochten ausdruckslos und sein Auftreten peinlich korrekt sein, aber er hatte fleischige Lippen, was nach Belles Beobachtung auf eine leidenschaftliche Natur hinwies.
»Ich glaube, ein Portier kann mehr als seinen Wochenlohn verdienen, indem er einem Gast einfach dabei behilflich ist, sich einen besonderen Wunsch zu erfüllen«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ist das nicht Grund genug, sich darauf einzulassen?«
»Sie glauben also, dass Sie etwas Besonderes sind?«, fragte er spöttisch.
»Natürlich. Deshalb bin ich hier, an dem Ort für besondere Menschen.«
Er sah sie eine Weile schweigend an. »Geben Sie mir Ihre Adresse«, sagte er schließlich knapp. »Wenn ich etwas für Sie habe, gebe ich Ihnen Bescheid.«
Belle befiel einen Moment lang Angst, als sie ihm einen Zettel mit der Anschrift des Hôtel Mirabeau gab, weil ihr klar war, dass er die Adresse einfach an die Polizei weitergeben könnte. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass er das nicht beabsichtigte; er war an ihrem Angebot mehr als interessiert, aber noch nicht bereit, es zuzugeben.
Es war ein kalter Abend, und Belle fröstelte, als sie heimging, und wünschte sich, sie hätte ihren Mantel angezogen. Aber so sehr sie auch fror, als sie auf der Rue de la Paix in Richtung Boulevard des Capucines ging, sah sie Paris mit seinen hell erleuchteten, baumgesäumten Prachtboulevards, ganz so, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie musste an all die Frauen im Hotelfoyer mit ihren Pelzen und Juwelen denken und daran, wie gern auch sie ein solches Leben führen würde. Aber sie war felsenfest überzeugt, dass Monsieur Pascal sich bei ihr melden und ihr den Zugang in diese Welt ermöglichen würde.
» Un message pour vous, Mademoiselle «, rief eine schrille Jungenstimme am nächsten Tag.
Es war drei Uhr nachmittags und sehr kalt. Belle hatte sich auf ihrem Bett unter die Daunendecke gekuschelt und las einen englischen Roman, den sie in einem Regal im Speisezimmer gefunden hatte. Sie wäre beinahe eingedöst, aber jetzt fuhr sie auf.
Der dunkelhaarige Junge war Gabrielles dreizehn Jahre alter Sohn Henri. Belle hatte ihn an diesem Morgen beim Frühstück kurz gesehen.
» Merci «, sagte sie und riss ihm den Umschlag fast aus der Hand. Aber dann erinnerte sie sich, was sich gehörte, winkte ihn zu sich und holte ihr Portemonnaie. Sie gab ihm eine Centime und dankte ihm.
Die Nachricht war kurz, aber präzise. »Monsieur Garcia würdesich freuen, heute Abend um halb sieben mit Ihnen zu speisen und anschließend ins Theater zu gehen. Kommen Sie um Viertel nach sechs ins Hotel und sagen Sie, dass Monsieur Garcia Sie erwartet. Wir sehen uns, bevor er kommt.« Unterschrieben war die Nachricht mit Edouard Pascal.
Belles Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie im Ritz eintraf, aber sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Sie lächelte einfach den Türsteher an und bat ihn, ihr den Weg zum Restaurant zu zeigen, wo sie dem Maître d’hôtel sagte, dass Monsieur Garcia einen Tisch reserviert hätte. Ihr Mantel wurde ihr abgenommen, man wies sie an einen Ecktisch und bot ihr etwas zu trinken an, und ein, zwei Minuten später tauchte Pascal auf. Dem Personal zuliebe begrüßte er Belle, als wäre sie eine Verwandte, mit der er nur kurz sprechen wollte. Mit gesenkter Stimme teilte er ihr mit, dass er den finanziellen Teil bereits erledigt hätte, und drückte ihr diskret einen Umschlag in die Hand, der ihren Anteil enthielt – hundert Francs.
Während er sich nach außen freundlich und unbefangen wie ein Onkel gab, begutachtete er sie eingehend und äußerte sich lobend zu ihrem Abendkleid aus schwarzer Spitze und dazu, dass sie auf Schminke verzichtet hatte. Dann ermahnte er sie mit leiser Stimme, sich unbedingt wie eine Dame zu benehmen, da ein Gentleman von Garcias Stand nicht wollte, dass irgendjemand auf die Idee kam, er hätte für ihre Gesellschaft bezahlt.
Schließlich teilte er ihr mit, dass Garcia sie nach dem Theater wieder hierherbringen würde, er aber dafür sorgen würde,
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