Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Prostituierte ein Zimmer im Mirabeau haben wollen. Im Allgemeinen durchschaute Gabrielle sie auf den ersten Blick und lehnte ab, aber wenn doch welche von ihnen blieben, wurden sie sofort vor die Tür gesetzt, sowie sie einen Mann mitbrachten.
Aber mit Belle war es anders gewesen. Sie war verstört und unverkennbar verzweifelt und ohne Gepäck hier aufgetaucht. Eigentlich hatte Gabrielle mit Ärger gerechnet, aber den hatte es nicht gegeben.
Was Belle trieb, war ihr klar geworden, als das Mädchen zum zweiten Mal erst in aller Herrgottsfrühe nach Hause kam. Gabrielle war damals nicht begeistert gewesen, weil ihr ihre Erfahrung, insbesondere die Fehler, die sie selbst in diesem Gewerbe gemacht hatte, sagten, dass es nicht lange dauern würde, bis Belle sich Freiheiten herausnahm. Aber nichts Derartiges war eingetreten, im Gegenteil, sie war der ideale Gast, anspruchslos, dankbar für jede nette Geste und außerordentlich diskret.
Was Gabrielle am meisten an Belle mochte, waren ihr Verstand, ihre guten Manieren und ihr warmes Lächeln. Es gefiel ihr, dass das Mädchen ein bisschen Französisch lernte und sich für Paris begeisterte, und es war immer eine Freude, sie zu sehen – hübsch, modisch und damenhaft.
Jetzt schien es, als wären die Sorgen, die sich Gabrielle seit ein paar Wochen um Belle machte, nicht unbegründet. Sie wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, dass Paris für Mädchen wie Belle viele Gefahren barg. Nicht nur, dass es Ganoven gab, die vor nichts zurückschreckten, um sich einen Anteil von Belles Einkünften zu sichern. Es liefen genug Verrückte herum, die eine Art Besessenheit für Mädchen, die so schön wie Belle waren, entwickeln konnten.
Um zehn Uhr abends war Belle immer noch nicht da, und Gabrielle machte sich große Sorgen. In ihrer Verzweiflung ging sie in das Zimmer des Mädchens, knipste das Licht an und sah sich um, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wo Belle am Vorabend hingegangen war.
Das Zimmer war wie immer sauber und aufgeräumt. Die Kleider hingen im Schrank, die Schuhe standen aufgereiht darunter, und die Unterwäsche lag ordentlich zusammengelegt in den Kommodenschubladen. Neben dem Bett fanden sich ein paar englischeBücher, auf dem Frisiertisch eine Flasche Eau de Cologne und in einer flachen Schale Kamm und Bürste sowie diverse Haarnadeln und Spangen.
Der Skizzenblock neben dem Bett war eine Überraschung, da er ausschließlich Zeichnungen von Hüten enthielt. Obwohl Gabrielle recht gut Englisch sprach, konnte sie es nicht lesen, aber sie nahm an, dass es bei in Notizen unter den einzelnen Modellen um Ideen für die Ausführung und die passenden Materialien ging. Es erschien ihr seltsam, dass Belle den Ehrgeiz hatte, Modistin zu werden, aber nach ihren gelungenen Entwürfen und den ausführlichen Anmerkungen zu urteilen, war es ihr damit ernst.
Sämtliche Kleidungsstücke und Toilettenartikel in diesem Zimmer waren angeschafft worden, nachdem Belle hier eingezogen war. Sie bekam keine Briefe, und nirgendwo lag ein Notizblock oder ein Tagebuch, das Aufschluss darüber gegeben hätte, wer sie war und woher sie kam, oder auch nur die Adressen von Freunden und Verwandten in England enthielt. Die einzigen Nachrichten, die sie erhielt, waren die Zettel, die gelegentlich von Botenjungen für sie abgegeben wurden. Gabrielle vermutete, dass der Zettel, der auf dem Frisiertisch lag, die letzte dieser Botschaften enthielt.
Sie hob ihn auf und überflog ihn rasch. Es stand weder ein Name noch eine Adresse darauf.
»Monsieur Le Brun würde dich heute Abend gern auf dem Montmartre treffen. Um sieben Uhr kommt eine Droschke«, las sie. Darunter standen nur die Initialen E.P.
Le Brun war ein relativ häufiger Name und konnte sogar falsch sein, das war also keine Hilfe, und auf dem Montmartre gab es unzählige Restaurants, Bars und Cafés. Der Bote, der die Nachricht überbracht hatte, war einer von Hunderten Straßenjungen in Paris, die für ein paar Centimes derartige Aufträge übernahmen. Gabrielle bezweifelte, dass sie den Jungen überhaupt wiedererkennen würde, denn er war nur schnell hereingerannt, hatte ihr den an Mademoiselle Cooper adressierten Umschlag in die Hand gedrückt und war wieder verschwunden. Sie hätte nicht einmal sagenkönnen, ob es derselbe Junge war, der die vorherigen Mitteilungen abgegeben hatte.
Gabrielle setzte sich aufs Bett und betrachtete nachdenklich den Zettel. Er war aus hochwertigem cremefarbenem Papier und
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