Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
sie dankbar. Sie hatte keine Lust, den Rest des Tages im Haus darüber zu brüten, wie unfair die Polizei sie behandelt hatte, und wollte auch nicht länger über das Schicksal der anderen Mädchen nachdenken.
»Es ist schön warm heute. Wir könnten mit dem Boot nach Greenwich fahren oder nach Hampstead Heath oder Kew Gardens.«
»Ich möchte gern nach Greenwich«, sagte sie.
Seine Miene erhellte sich. »Ich gehe nur schnell nach oben und ziehe mich um«, sagte er. »Meine Sachen sind ganz staubig, weil ich vorhin im Keller gearbeitet habe.«
Belle blieb in der Küche und wusch die Teetassen ab. Mog war auf den Markt gegangen, um Gemüse zu kaufen, und Garth stapelte im Hinterhof Fässer und Kisten auf. Mit Jimmy einen Spaziergang zu machen, war die optimale Gelegenheit, mit ihm zu sprechen; bisher war sie ihm eher ausgewichen, und das war alles andere als fair.
Gestern war sie erst spät aufgestanden, und dann hatte Mog sie für den Rest des Tages in Beschlag genommen, weil sie mit ihr zu einer Schneiderin gehen wollte, um ein Kleid für die Hochzeit anfertigen zu lassen. Danach hätte Belle nach Hause gehen und mit Jimmy reden können, aber stattdessen hatte sie Mog dazu ermuntert, mit ihr einen Einkaufsbummel auf der Regent Street zu machen. Abends stand Jimmy hinter der Theke, und sie kamen kaum zum Reden.
Was ein Gespräch mit Jimmy zusätzlich erschwerte, war die Tatsache, dass Mog und Garth sich offensichtlich große Hoffnungenmachten, dass aus ihm und Belle ein Paar wurde. Die Anzeichen waren nicht zu übersehen. Ein Schlafzimmer im obersten Stock war für sie mit einer hübschen geblümten Tapete, duftigen Gardinen und einem Doppelbett mit schwerem, holzgeschnitztem Kopfende eingerichtet worden, genau die Art Möbelstück, die sich für ein frisch vermähltes Paar eignete. Der Raum neben ihrem Schlafzimmer war leer, bestimmt, weil er als Wohnzimmer für Jimmy und sie vorgesehen war, wenn sie erst einmal verheiratet waren.
Obwohl sie wusste, dass derartige Mutmaßungen und Pläne bei Familien, in denen zwei junge Leute als ideales Paar angesehen wurden, nicht ungewöhnlich waren, empfand sie es als einengend und unrealistisch. Sie mochte Jimmy wirklich; er besaß alle Eigenschaften, die sich ein Mädchen bei einem Ehemann wünschen konnte. Wären sie nicht in so jungen Jahren auseinandergerissen worden, hätten sie sich wahrscheinlich ineinander verliebt und wären jetzt vielleicht schon ein Ehepaar.
Aber Mog und Garth bedachten nicht, dass Belle kein normales, unschuldiges junges Mädchen mehr war und dass aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen eine breite Kluft zwischen Jimmy und ihr klaffte. Sie fand, dass Mog und Garth das eigentlich erkennen müssten, aber weil die beiden die Liebe für sich entdeckt hatten, waren sie fest überzeugt, dass Jimmys Hingabe zu Belle ihre Vergangenheit auslöschen würde.
Belle hängte sich bei Jimmy ein, als sie etwas später am Vormittag die Villiers Street hinunter zum Embankment schlenderten, um dort ein Boot zu besteigen.
»Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir hier im Schnee herumgelaufen sind?«, fragte er sie.
»Ich habe ständig daran gedacht, wenn es für mich besonders schlimm aussah«, gestand sie. »Es ist seltsam, dass wir uns jetzt als Erwachsene wiedersehen. Wir haben uns in diesen zwei Jahren beide sehr verändert.«
»Ich nicht, glaube ich.« Er grinste sie an. »Ich bin ein bisschen gewachsen, habe ein paar Muskeln mehr, das ist alles.«
»Nein, es ist mehr als das«, sagte sie. »Du bist jetzt ein Mann und voller Selbstvertrauen. Als ich dich kennenlernte, warst du noch ein Junge, der um seine Mutter trauerte.«
Er schnitt ein Gesicht. »Das klingt, als wäre ich eine richtige Flasche gewesen.«
Belle lachte. »So habe ich es nicht gemeint. Ich war auch ziemlich unbedarft. Ich war noch nie aus Seven Dials herausgekommen und hatte von nichts eine Ahnung.«
Sie plauderten weiter, als sie sich in die lange Warteschlange für die Fähre nach Greenwich einreihten. Belles Stimmung hob sich, weil Jimmy nicht versuchte, mit ihr über die letzten zwei Jahre zu reden. Er erzählte ihr Geschichten über Nachbarn, an die sie sich zum Teil noch erinnerte, zum Teil aber auch nicht, und die alle sehr komisch waren. Er konnte gut erzählen, lebhaft und anschaulich, wenn auch mit einer Spur Zynismus, als hätte er die Leute, über die er sprach, ziemlich gut beobachtet. Belle musste immer wieder lachen, und als sie auf dem Boot waren und
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