Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Taschen zum Leeren.«
»Sind auch weniger Gäste ins Pub gekommen?«
»Nein, seltsamerweise war mehr los als je zuvor. Heute Abend waren sogar Leute da, die nicht mal hier in der Gegend wohnen.«
»Bei Annie war an dem Tag, als Königin Victoria starb, auch viel mehr Betrieb als sonst«, bemerkte Mog verschmitzt. »Warum der Tod einer Monarchin Männer scharf macht, ist mir wirklich ein Rätsel.«
Alle drei fingen an zu lachen und konnten gar nicht mehr aufhören. Für Belle war es besonders komisch, weil sie sich die hektischen Szenen hinter den Türen gut vorstellen konnte. Sie war sich nicht sicher, was Jimmy daran so lustig fand.
Aber herzlich zu lachen tat ihnen allen gut.
Seit sie wieder in London war, hatte Belle die Aufgabe übernommen, morgens in der Schankstube sauber zu machen, damit sich Mog anderen Hausarbeiten widmen konnte. Einer der Vorteile dieser Arbeit war, dass sie immer als Erste die Post in die Hand bekam. Ihr war bewusst, dass ein Brief von Etienne Jimmy wahrscheinlich wehtun und Mog neugierig machen würde, also war es besser, wenn sie gar nichts davon wussten.
Da seit ihrer Ankunft in London mittlerweile einige Wochenvergangen waren und sie immer noch nichts von Etienne gehört hatte, war sie fast so weit, ihn aufzugeben. Aber als sie an diesem Morgen in den Schankraum ging und unter dem Briefschlitz in der Tür einen weißen Umschlag liegen sah, flog sie förmlich hin. Zu ihrem Entzücken war der Brief an sie adressiert. Sie steckte ihn in ihre Schürzentasche und rannte nach oben, um den Brief in ihrem Zimmer zu lesen.
Der Brief war nicht frankiert, weder mit einer französischen noch einer anderen Marke, aber Belle riss ihn aufgeregt auf, weil sie halb erwartete, dass Etienne schon in England war. Aber zu ihrer Enttäuschung stand auf dem Briefkopf des einzelnen Bogens eine Adresse in King’s Cross. Der Brief war von ihrer Mutter, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie enttäuscht war.
»Liebe Belle«, las sie. »Ich bin so froh, dass du gesund und wohlbehalten in England gelandet bist. Verzeih mir bitte, dass ich noch nicht bei dir war, aber zwischen Mog und mir herrscht eine gewisse Spannung, und deshalb möchte ich nicht zu euch kommen. Ich habe diesen Brief heute Morgen auf dem Weg zum Markt durch den Briefschlitz geworfen und hoffe, dass wir uns später am Vormittag in dem Café in der Maiden Lane treffen können. Sag Mog nichts davon, sie hat dich schon immer gern ganz für sich behalten und versucht vielleicht, dich am Kommen zu hindern. Ich bin um 10 Uhr 30 dort.
Deine Dich liebende Mutter«
Belle las den Brief mehrmals, bevor sie ihn wieder in die Schürzentasche steckte. Trotz ihrer Liebe zu Mog war sie jetzt reif genug, um zu erkennen, dass Annie nie eine Chance gehabt hatte, eine echte Mutter zu sein, weil Mog diese Rolle für sich beansprucht hatte.
Seit sie von Noah wusste, dass auch Annie zur Prostitution gezwungen worden war, hatte sie eher Verständnis dafür, dass sie so kalt und distanziert sein konnte. Aber immerhin hatte Belle als Kind nie Hunger gelitten und war nie schlecht behandelt worden. Im Gegenteil, ihr war es besser gegangen als den meisten ihrer Mitschülerinnen, die aus achtbaren Verhältnissen stammten.
Wäre sie selbst eine gute Mutter gewesen, wenn sie in New Orleans schwanger geworden wäre? Diese Frage ließ sich nicht beantworten, so etwas wusste man erst, wenn es passierte. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie ihre Mutter treffen sollte. Sie hatten jetzt einiges gemeinsam, und das war möglicherweise eine Basis für eine freundschaftliche Beziehung.
Das Problem war, dass Garth, Mog und Jimmy sie nicht gehen lassen würden. Aber wenn sie nicht in dem Café auftauchte, würde ihre Mutter denken, dass Belle nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, und deshalb musste sie unbedingt dorthin, sei es auch nur, um ihr zu erzählen, dass Kent auf freiem Fuß war.
Es war jetzt kurz nach neun. Heute war der Tag, an dem Mog die Bettwäsche wechselte, und Jimmy würde bis halb elf im Keller zu tun haben. Garth konnte überall sein, er hielt sich nicht an einen bestimmten Tagesablauf. Wenn sie schnell im Schankraum aufräumte, könnte sie gegen Viertel nach zehn zur Seitentür hinausschlüpfen, ohne dass die anderen etwas merkten.
Während Belle Gläser spülte und abtrocknete, den Spiegel hinter der Theke und dann die Theke selbst blank polierte und schließlich den Boden aufwischte, dachte sie an das Risiko, allein das Haus zu verlassen.
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