Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
ihr Haar zurechtmacht, und einige fahren sogar in ihrer eigenen Kutsche. Viele dieser Mädchen haben reiche Gönner, die sie dafür bezahlen, nicht mit anderen Männern zu schlafen. Andere werden jeden Abend für die ganze Nacht gebucht, aber oft wollen ihre Kunden einfach nur in ihren Armen einschlafen. Und so geht es auf der Skala weiter nach unten, über billigere Freudenhäuser und Stundenhotels bis zu den Mädchen, die ihrem Gewerbe in dunklen Gassen nachgehen. Sie sind schmutzig, verkommen und krank und verlangen nur ein paar Cent.
Du darfst nie vergessen, dass du ganz oben rangierst. Du wirst blendend aussehen und bezaubernd zu deinen Kunden sein, auch wenn dir zum Weinen zumute ist. Du musst versuchen, die Männer in der kurzen Zeit, die du mit ihnen verbringst, zu lieben, und bald wirst du feststellen, dass du sie tatsächlich ein bisschen gern haben kannst, und nicht mehr so unglücklich über dein Leben sein.«
»Das klingt, als wüssten Sie ziemlich genau, wie es läuft. Waren Sie auch in solchen Häusern?«
»Belle, ich war Einbrecher und hatte immer mit Leuten auf der falschen Seite des Gesetzes zu tun. Ich habe die Mädchen in den Puffs von Marseille so gut kennengelernt, als wären sie meine Schwestern. Sie erzählten mir von ihrem Leben, ihren Kunden, den anderen Mädchen und den Madames. Deshalb weiß ich, dass du immer versuchen musst, die Madame auf deine Seite zu ziehen. Sie ist es, die dir das Leben zur Hölle machen kann, wenn du ihr nicht gefällst.«
»Sie sagen Freudenhaus und Puff – ist das dasselbe wie ein Bordell?«, fragte sie neugierig.
Etienne lächelte sie an. »Diese Bezeichnungen sind in New Orleans gebräuchlicher als das Wort Bordell. Ein Freudenhaus ist im Allgemeinen ein relativ vornehmes Etablissement, häufig mit einer Band im Salon. Die Musiker spielen hinter einem Wandschirm, damit sie die Männer nicht erkennen, die tanzen und sich mit den Mädchen amüsieren wollen.«
Auf einmal war es um Belles Fassung geschehen, und sie brach in Tränen aus.
»Was ist denn los?«, fragte Etienne, nahm sie in die Arme und zog sie an seine Brust.
»Sie werden mir ganz schrecklich fehlen«, schluchzte sie.
Er hielt sie fest und streichelte ihr Haar. »Du wirst mir auch fehlen, meine Kleine. Du hast ein Stück meines Herzens erobert. Aber vielleicht komme ich eines Tages wieder her, und dann bist du so großartig und bedeutend, dass du nicht einmal mit mir redest.«
»Das wird nie passieren.« Sie schniefte und musste beinahe lachen, weil sie wusste, dass er sie neckte. »Aber vielleicht werden meine Bewunderer eifersüchtig, weil Sie so gut aussehen.«
Er legte seine Hände an ihre Wangen und beugte sich vor, um ihr die Tränen wegzuküssen. »Vielleicht komme ich lieber nicht in deine Nähe, wenn du älter bist. Du brichst mir bestimmt das Herz«, sagte er leise. »So, denk dran, was ich dir gesagt habe: Du bist schön und klug und musst deinen Verstand benutzen, um jeden, der dir Böses will, auszutricksen.«
Ein wenig später ließ Etienne Belle auf dem Deck zurück, um noch etwas in der Kabine zu erledigen. Abgesehen von der Zeit, als er seekrank war, war es für sie die erste Gelegenheit, mit jemand anderem zu sprechen. An Deck befanden sich Dutzende Leute – achtbare Ehepaare, junge Männer, einige ältere Leute und sogar zwei schlicht gekleidete Frauen, die Belles Gefühl nach irgendetwas mit der Kirche zu tun hatten. Sie wären sicher Personen, die man um Hilfe bitten könnte, und Belle bezweifelte nicht, dass sie auf dem Dampfer, mit dem sie die Überfahrt von Frankreich gemacht hatten, eine derartige Gelegenheit mit beiden Händen ergriffen hätte.
Aber jetzt wollte sie keine Hilfe. Zugegeben, in einem Bordell abgeliefert zu werden, war nicht der ideale Start ins Leben, aber wäre es in London besser für sie gewesen? Sie war sich zwar absolut sicher, dass ihre Mutter und Mog nie gewollt hatten, dass eine Prostituierte aus ihr wurde, aber welche Chancen gab es für ein Mädchen ihrer Herkunft schon, außer in Stellung zu gehen oder in einer Fabrik zu arbeiten? Für immer zu Hause bei ihrer Mutter zubleiben, wäre eine noch trübere Aussicht gewesen, denn sie hätte nie Freunde gefunden, und die Tage würden endlos scheinen.
Belle hatte oft sehnsüchtig die großen Kaufhäuser wie Selfridge’s , das vor einem Jahr in der Oxford Street eröffnet hatte, oder Swan and Edgar’s in der Regent Street betrachtet und sich gewünscht, sie könnte in einem dieser
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